Interview: „Die Digitalisierung stellt interne Abläufe auf den Prüfstand“

10 November, 2021

Das Onlinezugangsgesetz (OZG) soll Bürger:innen den Zugang zu staatlichen Leistungen erleichtern. Das Ziel sind nutzerfreundliche digitale Portale. Das OZG nimmt hierbei gerade auch die gesetzlichen Krankenversicherungen in die Pflicht, ihre internen Prozesse zu digitalisieren und somit Abläufe zu optimieren. Denn nur wenn hier die einzelnen Komponenten nahtlos ineinandergreifen, funktionieren Online-Services einwandfrei und bieten Versicherten einen spürbaren Mehrwert. Gut aufeinander abgestimmte Systeme und Strukturen ebnen darüber hinaus den Weg zukunftsweisender Technologien wie etwa für künstliche Intelligenz (KI).

Anwendungen gibt es viele: Intelligente Systeme können ausgefüllte Formulare in eine maschinenlesbare Form bringen, Anträge von Versicherten automatisch bearbeiten oder große Datenmengen nach Betrugsfällen durchforsten. Der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eröffnet sich eine Palette an Möglichkeiten, um wirtschaftlicher und kundenorientierter zu arbeiten. Die Weichen für die neuen Technologien müssen aber rechtzeitig gestellt und interne Abläufe auf sie abgestimmt werden. Nils Breuer, Leiter Beratung GKV bei PwC/Strategy& und Henno Lückermann, CIO Advisory bei PwC, erläutern im Interview, welche Chancen die Digitalisierung im Zuge des OZG birgt.

Welche Voraussetzungen müssen Krankenversicherungen schaffen, damit sie die Anforderungen des OZG meistern?

Nils Breuer: Bei dem Bereitstellen neuer Services ist es mit einer neuen IT-Architektur nicht getan. Auch die Prozesse dahinter müssen dazu passen. Die Digitalisierung stellt daher gerade auch interne Abläufe auf den Prüfstand. Mitunter bedeutet das für gesetzliche Krankenversicherungen, dass sie sich zum Teil neu organisieren müssen. Das kann ganz verschiedene Bereiche tangieren. So ließen sich zum Beispiel  neue Technologien implementieren, die es einerseits Versicherten ermöglicht, vereinfacht Informationen oder Daten ihrer Versicherung zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig ermöglicht es der Versicherung, besser auf die Bedarfe der Versicherten zu reagieren, sei es durch an den Versicherten angepasste Dienstleistungen, schnellere Bearbeitung von Anträgen oder am Ende sogar durch Einsparungs von Kosten durch schlankere, digitale Prozesse.

Das OZG bietet die Chance, viele Vorgänge zu verschlanken und ungenutzte Potenziale zu heben.

Wo fängt man an, wo hört man auf?

Henno Lückermann: Die Digitalisierung ist ein kontinuierlicher Prozess. Ziel ist immer, Kund:innen neue digitale Services anzubieten und das auf IT-Ebene schnell umzusetzen – das wird auch unabhängig vom OZG weiterhin nötig sein.

Gerade in Verwaltungsorganisationen gehört es zu den grundlegenden Voraussetzungen, allen Mitarbeitenden einen modernen digitalen Arbeitsplatz bereitzustellen.

Das mag banal klingen, aber das meint mehr als eine Software für Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, E-Mail, Kalender und Dateiablage. Vielmehr geht es da um Intranet-Anwendungen, das Managen und Bereitstellen von Wissen und Daten, digitale Zusammenarbeit von Fachgruppen beispielsweise über digitale Chaträume und Whiteboards sowie Anwendungen, die Planungs- und Prozessabläufe erleichtern. Darüber hinaus müssen zum Beispiel auch Führungskräfte dahingehend geschult werden, ihr Team in einer zunehmend virtuellen Arbeitswelt sicher und vertrauensvoll zu führen. Wir sehen also: Der gesamte Bereich New Work steht ebenfalls im Fokus.

Was sagen Sie Mitarbeitenden, die solche ständigen Veränderungen als belastend empfinden?

Lückermann: Natürlich verlangt die digitale Transformation GKV-Mitarbeitenden viel Flexibilität ab. Neuerungen dürfen aber auf keinen Fall mit dem Gefühl einhergehen, dass „schon wieder“ eine andere Software eingeführt wird. Beschäftigte müssen in solchen Phasen gut geschult und begleitet werden. Nur wenn sie alle Möglichkeiten und Vorteile neuer Werkzeuge kennen und nutzen, erleben sie, dass ihnen ein moderner digitaler Arbeitsplatz das Erledigen ihrer Aufgaben erleichtert und damit neue Freiräume schafft. Nicht zuletzt erleichtert moderne Technik das flexiblere Arbeiten im Homeoffice – ein Vorteil, den viele bestimmt zu schätzen wissen.

Gezieltes Change Management und das frühe Einbeziehen von Mitarbeitern ist von enormer Bedeutung, um die Akzeptanz von Nutzern zu steigern.

Einmal abgesehen vom OZG: Was spricht noch dafür, digitale Services auszubauen?

Breuer: Damit können GKVen auf Anforderungen reagieren, die von außen an sie herangetragen werden: Jüngere Versicherte, für die eine digitale Interaktion mit Unternehmen und Einrichtungen selbstverständlich ist, erwarten solche Angebote von einer Krankenkasse. Aber auch für die immer größere Zahl älterer Versicherter, die weniger mobil sind, werden intuitiv zu nutzende Plattformen immer wichtiger. Auch das Ziel, Prozesse intern stringent zu strukturieren, kann als Anreiz begriffen werden. Denn das erleichtert nicht nur die Arbeit, sondern schafft auch die Grundlage, einzelne Schritte zu automatisieren und langfristig künstliche Intelligenz (KI) einzusetzen. Wenn wir etwa die Daten nutzen, die wir über unsere Gesundheit sammeln, können wir zum Beispiel mithilfe von Predictive Analytics sehr individuell Risiken vorhersehen und Versicherte etwa dabei begleiten, dass diese nicht oder weniger schwerwiegend auftreten.

Wir können mit diesen Daten Versicherten helfen, sich mit anderen zu vergleichen und gegebenenfalls ein besseres Verständnis für ihre Gesundheit zu erlangen.

Letztlich würde dadurch eine Krankenversicherung eher ein Begleiter oder Coach für Versicherte, die hilft, sich mit seiner Gesundheit gezielter auseinanderzusetzen.

Wie können GKVen intern ein Umfeld schaffen, das Innovationen fördert?

Breuer: Um digitale Angebote auszubauen und zu optimieren, müssen Verbesserungsprozesse innerhalb der Verwaltung als Standard etabliert werden. Die IT-Abteilung muss wissen, wie sie Business-Anforderungen strukturiert umsetzt.

Eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit ist zur Entwicklung nutzerzentrierter Services von elementarer Bedeutung.

Allerdings müssen nicht alle Projekte intern realisiert werden. Es gibt immer die Möglichkeit, Start-ups mit ins Boot zu holen oder Kooperationen einzugehen, um neue Ideen und das nötige Know-how bereitzustellen. Viele Krankenkassen lassen sich bereits extern unterstützen – nicht zuletzt auch deswegen, weil es schwierig geworden ist, genügend IT-Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt zu finden.

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Thorsten Weber

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Director, PwC Germany

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