Die Ausgaben für Verteidigung in Deutschland steigen durch die von der Bundesregierung gelockerte Schuldenbremse und das milliardenschwere Sondervermögen erheblich. Bis 2035 ist eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben von derzeit zwei auf mindestens fünf Prozent des BIP geplant. Zeitgleich stehen viele deutsche Familienunternehmen, allem voran die Automobilzulieferer, vor einem tiefgreifenden Strukturwandel. Bietet der Ein- oder Umstieg in die Verteidigungsindustrie einen Ausweg aus der Krise?
Antworten geben die PwC-Experten Uwe Rittmann, Leiter Familienunternehmen und Mittelstand, sowie Prof. Dr. Rainer Bernnat, Leiter Öffentlicher Sektor.
Energiekosten, US-Zölle, gestörte Lieferketten und das Verbrenner-Aus belasten die deutsche Wirtschaft erheblich. Die Rüstungs- und Verteidigungsindustrie hingegen boomt. Können Familienunternehmen und der Mittelstand davon profitieren?
Uwe Rittmann: So pauschal kann man das nicht sagen. Sicherlich werden Unternehmen, die bereits im Bereich Verteidigung tätig sind, von den steigenden Investitionen profitieren oder tun es bereits. Firmen wie der Tankwagenhersteller Esterer zum Beispiel haben nach eigenen Angaben ihren Anteil an Produkten für den militärischen Einsatz in den letzten Jahren von etwa 20 auf 50 Prozent erhöht.
„Unternehmen, die bislang ausschließlich im zivilen Bereich tätig sind und ihr Geschäftsmodell sowie ihre Produktion komplett neu ausrichten müssen, brauchen erst einmal die notwendigen Ressourcen: Zeit, Geld und Personal. Das geht nicht so schnell, zumal die Hürden für den Einstieg in die Verteidigungsindustrie hoch sind.“
Können Sie das etwas konkretisieren – welche Hürden sind das?
Rainer Bernnat: Die Liste ist lang – lassen Sie mich vier Beispiele nennen. Erstens: Der Zertifizierungsprozess für die erforderliche europäische Norm, die das Qualitätsmanagement für Luftfahrt, Raumfahrt und Verteidigung regelt, ist hochkomplex. Sprich: Bis man diese Branche überhaupt beliefern darf, kann es viele Monate, wenn nicht Jahre, dauern. Zweitens: Das bisherige Beschaffungswesen im Verteidigungssektor ist äußerst behäbig. Es dauert lange, bis Abnahmezusagen vorliegen – das bremst die Investitionsbereitschaft der Unternehmen, zum Beispiel in teure Anlagen oder Maschinen. Wenn ein Zuschlag kommt, müssten die Unternehmen ihre Kapazitäten in kürzester Zeit hochfahren. Das ist nicht immer machbar. Drittens: Fachkräfte, vor allem im technischen Bereich, sind Mangelware – in der Rüstungsindustrie verschärft sich das Problem, weil es weitreichende Anforderungen an Sicherheitsüberprüfungen und Geheimhaltungspflichten gibt. Viertens: Im militärischen Bereich geht es meistens um kleine Stückzahlen oder Einzelfertigungen, in anderen Branchen wie den Automobilzulieferern dominiert hingegen die Massenfertigung. Das heißt: Die Produktion muss oft grundlegend umgestellt werden.
Das klingt nicht gerade motivierend. Vermutlich kommt als weiteres Problem dazu, dass die Finanzierung für notwendige Investitionen schwierig ist?
Rittmann: Das halte ich nicht für das drängendste Problem. Banken verlangen zwar oft Sicherheiten wie feste Aufträge, die wegen des bereits erwähnten trägen Beschaffungswesens nicht immer vorliegen, aber Familienunternehmen haben oft eine sehr hohe Eigenkapitalquote. Sie sind deshalb nicht oder nur in geringem Maße auf Fremdkredite angewiesen.
Bernnat: Viele Banken passen angesichts der veränderten Rahmenbedingungen ihre Vergaberichtlinien für Kredite für die Verteidigung derzeit an. Ich gehe außerdem davon aus, dass es in Kürze öffentliche Förderprogramme gibt, um Innovationen, Kapazitätserweiterungen und den Markteintritt in den Verteidigungsmarkt zu unterstützen.
„Denn nicht nur der Mittelstand braucht die Verteidigungsbranche als Absatzmarkt; die öffentliche Hand braucht auch den Mittelstand, um die Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu erhöhen. “
Sie empfehlen Mittelständlern also, über einen Markteintritt in der Verteidigungsbranche nachzudenken?
Bernnat: Trotz der skizzierten Schwierigkeiten lautet meine Antwort: ja. Die Investitionsperspektive ist außergewöhnlich gut. Alle NATO-Partner müssen bis 2035 mindestens fünf statt wie bisher zwei Prozent des BIP in Verteidigung investieren. Die Bundesregierung hat ein dreistelliges Milliarden-Paket verabschiedet. Daneben plant die EU im Rahmen des ReArm Europe Plans Investitionen in ebenfalls dreistelliger Milliardenhöhe. Zeitgleich geht es den deutschen Schlüsselindustrien – Automobil und Maschinenbau – nicht gut, so dass viele ohnehin schon damit begonnen haben, über neue Geschäftsmodelle nachzudenken und Transformationsprojekte zu starten.
Rittmann: Familienunternehmen, die bisher noch nicht im Defense-Bereich tätig sind, können sich den Markt auch dadurch erschließen, dass sie Partnerschaften mit etablierten Rüstungsunternehmen eingehen und als Tier 2 oder 3-Zulieferer fungieren. Abgesehen davon: Wenn wir von Sicherheit und Verteidigung sprechen, geht es nicht nur um Leistungen und Produkte, die der Rüstungsindustrie im engeren Sinne zuzuordnen sind.
Welche Dienstleistungen und Produkte meinen Sie damit?
Bernnat: Wichtige Stichworte sind Cyber Security, KI-Lösungen, Ausrüstung der Bundeswehr, Instandhaltung, Wartung oder Bauprojekte – zum Beispiel von Kasernen. Deutschland wird für die NATO außerdem eine wichtige Rolle als Logistik-Drehscheibe spielen, wodurch ein großer und sicherlich gut planbarer Bedarf an verschiedensten Dienstleistungen rund um Transport, Verpflegung, Sanitätsleistungen, Treibstoffversorgung, Unterbringung entsteht. Öffentliche Auftraggeber suchen hierfür belastbare Partner – dafür sind mittelständische Unternehmen prädestiniert.
Rittmann: Zur Verteidigungsfähigkeit gehört es außerdem, kritische Infrastrukturen stärker zu sichern: die Energie-, Gesundheits- oder Wasserversorgung zum Beispiel. Beim Aufbau der Resilienz dieser Infrastrukturen sehe ich viele Möglichkeiten für inhabergeführte Unternehmen.
Hinter vielen Familienunternehmen stehen oft Unternehmerfamilien. Kann der Einstieg in die Rüstungsindustrie innerfamiliär nicht zu einer konfliktträchtigen Gretchenfrage werden?
Rittmann: Das kann es in der Tat – und es gibt kein Patentrezept, wie man damit umgehen kann oder soll. Diese ethisch-moralische Frage muss jede Familie für sich allein beantworten. Viele Unternehmerfamilien diskutieren darüber intensiv und machen sich diese Entscheidung nicht einfach. Nach meinem Eindruck steigt die Bereitschaft, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, bisherige Vereinbarungen auf den Prüfstand zu stellen und zu diskutieren, wie man Verantwortung für das eigene Land übernehmen kann und muss.
Haben Sie ein Beispiel für ein Familienunternehmen, dass diese Frage für sich bereits beantwortet hat?
Rittmann: Das Unternehmen Trumpf hat sich zum Beispiel dafür entschieden, Produkte für die Rüstungsindustrie zu entwickeln und produzieren, solange sie nicht direkt in Waffen zum Einsatz kommen, die gegen Menschen eingesetzt werden. Nicola Leibinger-Kammüller hat dazu im Handelsblatt gesagt, dass das „keine Zeitenwende der Werte, sondern die Evolution unserer gesellschaftlichen Verantwortung“ sei. Trumpf scheint mir kein Einzelfall zu sein. Neben ökonomischen Gründen und Notwendigkeiten greift das Bewusstsein um sich, dass Investitionen in den Verteidigungssektor angesichts der geopolitischen Situation der Friedenssicherung dienen.
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Risikobasiert aufgestellte Systeme für das Risiko- und Compliance-Management, zum Beispiel im Hinblick auf Korruption und produktbezogene Regulatorik.
Das IT-Sicherheitsniveau liegt in der Verteidigung höher als in vielen zivilen Branchen. Unternehmen müssen Sicherheitsvorfälle schnell erkennen, behandeln und operative Resilienz zeigen. Systeme im Standard „nicht vertraulich“ müssen dem IT-Grundschutz des BSI entsprechen, beim Standard „vertraulich“ sind Sicherheitsüberprüfungen durch den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) erforderlich.
NATO AQAP (Allied Quality Assurance Publications) Standards verlangen ein sektorspezifisches Qualitätsmanagementsystem. Die Anforderungen reichen tief in die Lieferkette und betreffen den gesamten Produktlebenszyklus.
Definition der Martkteintritts- und Wachstumsstrategie für den Verteidigungssektor: Marktanalyse, Identifkation des Marktpotentials, Entwurf Roadmap und Entwicklung eines Defense Target Operating Models
Transformation des Kerngeschäftes durch Entwicklung und Umsetzung komplett neuer oder den massiven Umbau bestehender Geschäftsmodelle für oder im Defense-Kontext. Ziel ist die Erschließung neuer oder zusätzlicher Einnahmequellen.
Verteidigungs- und Dual-Use-Güter unterliegen zahlreichen Restriktionen. Verstöße gegen die Exportkontrollgesetze können zu Ausfuhrverboten und strafrechtlichen Konsequenzen führen. Exportkontrolle und zollrechtlicher Prozesse müssen eng verzahnt werden, um rechtssichere, effiziente Prozessketten zu bilden.
„Der Krieg in der Ukraine und die neue Regierung in Amerika haben ein Umdenken gefördert und uns gezwungen, Verteidigung neu zu denken. Die Verteidigungsindustrie kommt damit aus der Schmuddelecke. Mich persönlich freut es, dass das Thema auch in der Gesellschaft wieder positiver gesehen und die Notwendigkeit zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit erkannt wird.“
„Kampfmittelbeseitigung und Minenräumung sind selten in der Berichterstattung, obwohl es sich um ein weltweites Problem handelt. Wir sind stolz darauf, mit unseren Detektoren dazu beizutragen, dass ein Bauer wieder gefahrlos sein Feld bestellen kann oder Kinder sicher zur Schule gehen können.“
„Die Verbindung von Familienunternehmen und der Rüstungsindustrie bietet wirtschaftliches Potenzial, erfordert aber eine sorgfältige Abwägung der gesellschaftlichen und ethischen Risiken. Die Balance zwischen Gewinnstreben und moralischer Verantwortung bleibt eine zentrale Frage, auf die jede Unternehmerfamilie ihre eigene Antwort finden muss.“
„Wir möchten gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und unseren Beitrag für Europa leisten. Wenn dazu Bauteile benötigt werden, die zur Verteidigung eingesetzt werden, liefern wir diese auch. Das heißt aber nicht, dass wir zu einem reinen Rüstungsunternehmen werden.““
Die Zitate stammen aus "Family Business Matters", Ausgabe 3/25, dem Kundenmagazin der INTES Akademie für Familienunternehmen.
Partner, Leiter Öffentlicher Sektor, Strategy&, PwC Germany
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