Die Auswirkungen der neuen EU-Regulierungsinitiative im Fokus

Risiken und Chancen der Anti-Greenwashing-Richtlinie

  • Interview
  • 5 Minuten Lesezeit
  • 26 Mrz 2024

Mit der Anti-Greenwashing-Richtlinie („Directive on empowering consumers for the green transition“) möchte die EU sicherstellen, dass sich Verbraucher:innen auf Basis belastbarer Informationen besser für den ökologischen Wandel engagieren können. Die Richtlinie wurde am 28. Februar 2024 beschlossen und ist am 26. März 2024 in Kraft getreten.

Das führt unter anderem dazu, dass Unternehmen bestimmte Behauptungen in Bezug auf „Umwelt/ESG“ zukünftig wissenschaftlich belegen müssen – oder diese gar nicht mehr aufstellen dürfen. Ein Interview mit Theres Schäfer und Prof. Dr. Jürgen Peterseim über die Folgen für Unternehmen.

Theres Schäfer ist Partnerin im Bereich Sustainability bei PwC Deutschland und Prof. Dr. Jürgen Peterseim ist Director im Bereich Sustainability.

Frau Schäfer, Herr Peterseim, die EU geht mit der Anti-Greenwashing-Richtlinie zukünftig deutlich entschlossener gegen falsche Umweltbehauptungen vor. Wie verbreitet ist die Praxis bei europäischen Unternehmen?

Theres Schäfer: Laut einer Studie der EU-Kommission aus dem Jahr 2020 sind mehr als 50 % der Umweltaussagen vage, irreführend oder unfundiert. Es besteht dementsprechend großer Handlungsbedarf. Wichtig ist es jedoch, Unternehmen nicht unter Generalverdacht zu stellen. Denn viele Falschbehauptungen entstehen nicht aus böser Absicht, sondern auch aus Unwissenheit. 

Prof. Dr. Jürgen Peterseim: Mit der Anti-Greenwashing-Richtlinie stellt der Gesetzgeber zukünftig sicher, dass Unternehmen ihre Behauptungen besser prüfen müssen. Die Richtlinie muss bis zum 27. März 2026 in nationales Recht umgesetzt werden. Ergänzend dazu hat die EU-Kommission im März 2023 einen Vorschlag für die Green-Claims-Richtlinie ausgearbeitet, die den Rahmen dafür weiter konkretisiert. Das Parlament hat den Vorschlag in erster Lesung angenommen. Das Vorhaben wird dann vom neuen Parlament nach den Europawahlen weiterverfolgt werden.

Gibt es bestimmte Branchen oder Sektoren, in denen Greenwashing besonders weit verbreitet ist?

Peterseim: Die Praxis ist grundsätzlich verstärkt in Branchen zu beobachten, die sich eng an den Endverbraucher:innen orientieren.

Analysen zeigen auf, dass beispielsweise bei Lebensmittelkonzernen die Gefahr für falsche oder irreführende Aussagen größer ist als bei einem Chemieunternehmen oder einem Automobilzulieferer.

Was sind gängige Marketing Claims, die einer genauen Prüfung in den meisten Fällen nicht standhalten?

Peterseim: Viele Unternehmen werben auf ihren Produkten mit dem Claim „klimaneutral“, beziehen sich dabei aber z. B. nur auf die Verpackung. Das ist natürlich irreführend und dürfte zukünftig nicht mehr zulässig sein. Auch Begriffe wie „umweltfreundlich“, „öko“, „klimapositiv“ oder „aus nachhaltigem Anbau“ sind oft nicht durch Fakten belegt.

Welche Auswirkungen haben die neuen Regeln auf Umweltsiegel?

Schäfer: Meine Erwartung ist, dass eine beträchtliche Anzahl von Siegeln verschwinden wird, da sie keiner Prüfung im Sinne der Anti-Greenwashing-Richtlinie standhalten werden. Für Verbraucher:innen ist das eine gute Nachricht, denn sie können sich zukünftig mit wenigen geprüften Siegeln deutlich einfacher einen Überblick verschaffen. 

Welche Rolle spielen Verbraucheraufklärung und -bildung bei der Bekämpfung von Greenwashing?

Schäfer: Eine große Rolle.

Verbraucher:innen zu befähigen, bewusste Entscheidungen zu treffen und damit einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten, ist ein wichtiger Aspekt für den Erfolg des European Green Deals. Das funktioniert aber nur, wenn ihnen dafür die richtigen Informationen zur Verfügung stehen. Sind diese in Teilen irreführend oder nicht gut vergleichbar, fehlt die Grundlage für fundierte Entscheidungen.

Wie können Unternehmen ungewollte Falschangaben vermeiden?

Schäfer: Unter anderem, indem sie ihre Umweltbehauptungen fundiert herleiten und bestenfalls wissenschaftlich belegen. Fehlen dafür die Ressourcen – etwa in kleineren und mittelständischen Unternehmen – braucht es externes Know-how. Oft gibt es auch die Möglichkeit, Synergien zu nutzen und etwa über Branchenverbände gemeinsam Wissen aufzubauen.

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Unternehmen, die mit Nachhaltigkeit oder Umweltfreundlichkeit werben wollen, müssen ihre Behauptungen künftig von externen Prüfern bewerten lassen. Wer ist dafür vorgesehen?

Peterseim: Das wird sich erst zeigen, wenn der Gesetzgeber die Anti-Greenwashing-Richtlinie in nationales Recht umsetzt.

Fest steht, dass diese Instanzen ausgeprägte technische und fachliche Kompetenzen mitbringen müssen, um etwa Faktoren wie Materialflüsse, Produktlebenszyklen oder zirkuläre Wertschöpfungsmodelle richtig bewerten zu können. Hierfür kommen Prüfungsgesellschaften und Zertifizierungsstellen, wie der TÜV in Frage, die das geforderte fachliche Wissen und technisches Know-how mitbringen – also eine Kombination aus Prüfungskompetenz und Expertenwissen.

Nach welchen Kriterien erfolgen die Prüfungen?

Schäfer: Noch sind keine konkreten Prüfungskriterien festgelegt, doch üblicherweise wird die Übereinstimmung der Behauptung mit den Erstellungskriterien geprüft und dazu ein Prüfungsurteil abgegeben. Die Kriterien, gegen die geprüft werden muss, werden von der Richtlinie vorgegeben, also z. B. die Aktualität und die Herkunft der verwendeten Daten.

Wie gelingt Unternehmen die Datenerhebung?

Peterseim: Sie müssen sich unter anderem damit beschäftigen, wie sie ihre Primärdaten erheben und belastbare Datenpools aufbauen. Dafür gibt es verschiedene technische Lösungen und Standards. Zum Beispiel das Greenhouse Gas Protocol (GHG Protocol). Dabei handelt es sich um einen weltweit anerkannten Standard zur Erfassung und Berichterstattung von Treibhausgasemissionen. Es bietet Unternehmen und Organisationen eine strukturierte Methodik, um ihre Emissionen zu quantifizieren und zu verwalten.

Schäfer: Darüber hinaus können auch Datenaustauschplattformen dabei helfen, relevante Sustainability-Informationen und Daten zu erheben, um sie für die Ermittlung und Nachweisführung zu nutzen. 

Die Green-Claims-Richtlinie sieht vor, dass Unternehmen CO₂-Kompensationsprogramme nur für das Marketing nutzen dürfen, wenn sie ihre Emissionen bereits so weit wie möglich reduziert haben. Wie lässt sich das beziffern?

Peterseim: Man sagt, dass die letzten 5 bis 15 % an Emissionen bei der Dekarbonisierung kaum bzw. sehr teuer zu vermeiden sind. So weit ist aber noch niemand. Daher kommen auf viele Unternehmen große Veränderungen zu. CO₂-Kompensationsprogramme waren bisher ein günstiger Weg, um Engagement für den Klimaschutz zu zeigen. Die neuen Regeln legen den Fokus nun auf konkrete Transformation, z. B. den Wechsel auf alternative Antriebe für den Transport bzw. alternative Brennstoffe für das Heizen oder Strombezug über erneuerbare Energien. Das heißt allerdings nicht, dass CO₂-Kompensation zukünftig verboten ist. Es darf aber beispielsweise niemand mehr seine Produkte als klimaneutral bezeichnen, wenn dieses Label nur auf Offsetting basiert. 

Schäfer: Es geht um Klarheit. Unternehmen können für unvermeidbare Emissionen CO₂-Kompensation betreiben, bis die Green Claims Directive eingeführt wird. Priorität muss aber auf der echten Dekarbonisierung liegen, gefolgt von Ausgleichsmaßnahmen – letztere können auch vorher durchgeführt werden, jedoch ohne Berücksichtigung in der Treibhausgas-Bilanz.

In jedem Fall müssen Unternehmen ihre CO₂-Kompensationsprogramme gegenüber ihren Kunden transparent machen. Alles andere birgt neben finanziellen Schäden durch Sanktionen auch hohe Reputationsrisiken. Viel wichtiger sind aber die Chancen, die sich hier bieten. Wem es gelingt, den Schwerpunkt erfolgreich von Offsetting auf Dekarbonisierung oder Kreislaufwirtschaft zu verlagern, senkt nicht nur Risiken, sondern stärkt auch langfristig die Wettbewerbsfähigkeit.

Die Gesprächspartner:innen

Theres Schäfer ist Partnerin im Bereich Nachhaltigkeitsberatung bei PwC Deutschland.

Theres Schäfer

Theres Schäfer studierte Deutsches und Europäisches Wirtschaftsrecht an den Universitäten Siegen und Athen. 2007 wurde sie zur Steuerberaterin, 2012 zur Wirtschaftsprüferin bestellt. Als Partnerin im Bereich Nachhaltigkeitsberatung bei PwC Deutschland ist sie unter anderem Expertin für die Implementierung regulatorischer Vorgaben und Nachhaltigkeitsberichterstattung.

Prof. Dr. Jürgen Peterseim ist Directorim Bereich Nachhaltigkeitsberatung bei PwC Deutschland.

Prof. Dr. Jürgen Peterseim

Prof. Dr. Jürgen Peterseim ist Director im Bereich Nachhaltigkeitsberatung. Er begann seine Karriere 2003 im Energiesektor mit der Planung und dem Bau von Kraftwerken und Industrieanlagen. Bei PwC Deutschland unterstützt er Kunden unter anderem dabei, Strategien für Dekarbonisierung, Kreislaufwirtschaft und Wasserstoff zu entwickeln und umzusetzen.

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Partnerin, Sustainability Services, PwC Germany

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Director, Net Zero, Sustainability Services, PwC Germany

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