Die Olympischen Sommerspiele sind Sportevents mit immenser internationaler Strahlkraft – doch Deutschland scheint seine Wettbewerbsfähigkeit immer mehr einzubüßen: Bei den jüngsten Spielen in Paris im Jahr 2024 erreichte die Bundesrepublik nur den zehnten Rang im Medaillenspiegel. Das war das schwächste Abschneiden seit 72 Jahren, seit den Spielen 1952 in Helsinki (Rang 28).
Schon bei den Spielen in Tokio 2020 (ausgetragen 2021) hatte es nur für Platz 9 gereicht und unter den Top 3 im Nationenranking war Deutschland zuletzt 1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta. Versuche, das (Spitzen-)Sportsystem zu reformieren – insbesondere die jüngeren Initiativen aus den Jahren 2016 und 2022 –, wirken bisher kaum.
Wie kann Deutschland wieder auf Erfolgskurs kommen? Diese Frage steht im Kern der aktuellen Veröffentlichung von PwC und Strategy& „(Spitzen-)Sportnation Deutschland?! Wie Deutschland wieder eine international führende Sportnation wird“.
„Die olympischen Sommersportarten haben die größte öffentliche Strahlkraft. Verbesserungen bei diesen Sportarten dürften daher die größten Effekte auf den Sport insgesamt haben.“
In den olympischen Wintersportarten und den nicht-olympischen (Nischen-)Sportarten gehört Deutschland nach wie vor zu den international führenden Nationen. Deshalb konzentriert sich die Studie auf die Sommerdisziplinen, zumal diese die größte Aufmerksamkeit erfahren. Für ihre Analyse haben die Studienautor:innen die Leistungen deutscher Athlet:innen bei Großevents untersucht. Auf der Basis von Interviews mit 46 Expert:innen aus Sport, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft stellen sie dar, welche Stellhebel geeignet sein können, um den deutschen olympischen Sommersport wieder an die internationale Spitze zu führen.
Bei den Interviews ging es zunächst um das Stimmungsbild: Gefragt nach Deutschlands Status als Spitzensportnation äußerten sich 20 der 46 Befragten überwiegend negativ und bezeichneten Deutschland zum Teil als „ehemalige Spitzensportnation“. Sie führten vor allem die rückläufige Medaillenanzahl, verfehlte Ziele und unwirksame Reformen an. 23 Befragte äußerten sich mit negativer Tendenz und vermissten insbesondere die Verankerung des Sports in der Gesellschaft. Zudem warnten sie vor einem schleichenden Bedeutungsverlust im internationalen Sport. Nur 3 von 46 Befragten äußerten sich überwiegend positiv; sie verwiesen auf das starke Vereinswesen und auf insgesamt starke strukturelle Voraussetzungen in Deutschland. Doch auch sie räumten ein, dass Deutschland sein Potenzial für Spitzenleistungen nicht (mehr) konsequent nutzt.
Als übergeordneten wichtigen Stellhebel nannten die Expert:innen eine nationale (Spitzen-)Sportstrategie für Deutschland. Bei einer solchen Strategie müsse es um klare Ziele gehen und darum, die sportpolitischen Strukturen wirksam zu optimieren. Notwendig sei zudem eine gesamtgesellschaftliche Debatte über Deutschlands sportlichen Leistungsanspruch und die daraus abzuleitenden Prioritäten – auch im Hinblick auf die Sportförderung.
Der zweite wichtige Stellhebel ist nach Meinung der Expert:innen der Beitrag des Schulsystems. Eine tägliche Sportstunde, wie sie in acht der weltweit erfolgreichsten Sportnationen bereits Realität ist, ist für viele Befragte eine vielversprechende Maßnahme. Ebenso wünschenswert seien Daten zu Unterrichtsausfällen sowie systematische sportmotorische Tests. Mit der für Grundschulen ab August 2026 verpflichtenden Ganztagsbetreuung verbinden die Expert:innen die Hoffnung auf eine tiefe und frühzeitige Verankerung des Sports in den Schulen.
Aus Sicht der Expert:innen sind unter anderem gezielte Programme, um qualifizierte Top-Trainer:innen und unterstützendes Fachpersonal zu gewinnen, ebenso eine stärkere Kooperation zwischen Sportpraxis und Wissenschaft (inklusive eines Fokus auf sportartübergreifenden Best-Practice-Wissenstransfer) entscheidend.
Die Talentidentifikation und -förderung sollte den Expert:innen zufolge früher und systematischer erfolgen. Zudem sollten Spitzensport und Vereine stärker kooperieren und auch Eltern gezielt einbinden. Sinnvoll sei es, Medaillenhoffnungen gezielter als bisher zu fördern, einschließlich attraktiver Dual-Career-Programme als Anreiz. Und der Spitzensport sollte auch an Universitäten stärker etabliert werden, inklusive neuer Stipendienprogramme.
Die Expert:innen nannten die Erschließung neuer Finanzierungsquellen als wichtiges Thema, mit zum Beispiel Sponsoring oder Fundraising durch die Privatwirtschaft. Auch eine leistungsbasierte Vergütung von Athlet:innen sowie eine Grundsicherung für Athlet:innen während und nach ihrer Sportkarriere waren häufig genannte Themen.
Die Expert:innen verwiesen auf die Modernisierung oder bei Bedarf auch Neugestaltung der Infrastruktur, insbesondere bei den Leistungszentren.. Dazu gehöre es auch, überall moderne Sportausrüstung zu beschaffen, um moderne Trainingsmethoden flächendeckend umzusetzen.
In Großveranstaltungen wie den Olympischen und den Paralympischen Spielen sahen die Expert:innen eine Chance, das öffentliche Interesse sowie die Popularität des Spitzensports zu steigern. Die Ausrichtung eines solchen Events beinhaltet in der Regel, dass die (Sport-)Infrastruktur ausgebaut und verbessert wird.
Innovation Hubs könnten den Expert:innen zufolge Sport und Wirtschaft enger verzahnen. In Kooperation etwa mit Technologieunternehmen könnten Digitalisierungsinitiativen entstehen, die dazu geeignet sind, Daten zu erheben und auszuwerten und diese zur Talentidentifikation und Trainingssteuerung zu nutzen.
„Trainer:innen, Athlet:innen und Infrastruktur – das sind die drei Kernelemente sportlichen Erfolgs. Um sie gezielt zu stärken, braucht es nicht zwingend mehr Geld, sondern eine Mittelverwendung vor allem dort, wo sie den größten Erfolg bringt.“
Prof. Dr. Rainer Bernnat, Senior Partner und Geschäftsführer bei PwC Strategy&, Leiter Öffentlicher Sektor, PwC DeutschlandDas Whitepaper von PwC und Strategy&: Wie Deutschland wieder wettbewerbsfähig wird
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Auf Basis von Daten zu den Leistungen Deutschlands bei Sportgroßevents haben die Studienautor:innen den Status quo von Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit sowie den Studienfokus auf den olympischen Sommersport abgeleitet. Das Herzstück der Studie sind 46 Interviews mit Expert:innen aus Sport, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Anhand dieser Interviews haben die Autoren Stellhebel definiert, die dazu beitragen können, Deutschland im olympischen Sommersport wieder an die internationale Spitze zu führen. Die Interviews wurden entlang eines strukturierten Leitfadens mit Thesen zu Stellhebeln geführt und erfolgten online mit einer Dauer von jeweils circa 60 Minuten. Die Rolle von PwC und Strategy& Deutschland bestand vor allem darin, die erhobenen Daten zu strukturieren und die getroffenen Aussagen zu einem Gesamtbild zusammenzufügen.
Alle Interviewpartner:innen haben (oder hatten) eine Position inne, die ihren Status als Expert:innen klar belegt. Wir haben mit Personen aus Präsidien, Vorständen oder Geschäftsführungen sowie mit Bereichs- und Abteilungsleiter:innen gesprochen. Bei Vertreter:innen aus der Wissenschaft waren es Professor:innen mit ausgewiesener Expertise. Die interviewten Athlet:innen gehörten mindestens zur Nationalmannschaft in ihrer jeweiligen Sportart und in der Regel auch zum Olympia- oder Paralympics-Kader. Allen Interviewpartner:innen haben wir Anonymität zugesichert. Um dies zu gewährleisten, nennen wir ihre genauen Positionen nicht.