Fälschungen im Pharmahandel: Die moderne Form der Piraterie

17 Juli, 2019

Interview mit Michael Burkhart, Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft bei PwC, und Nils Wolfgang Bings, Experte für Gewerblichen Rechtsschutz bei PwC

Plagiate in der Pharmaindustrie fügen der Branche jährlich Schäden in Milliardenhöhe zu. Noch schwerer als der finanzielle Verlust wiegt für die Unternehmen allerdings der Imageverlust, der mit Fälschungen verbunden ist, und das Risiko für den Verbraucher, denn Pharma-Plagiate gefährden unmittelbar die Gesundheit von Menschen. Wie lässt sich die Produktpiraterie eindämmen? Wie können die Hersteller sich schützen?

Welche Chancen bietet das neue System der Fälschungsabwehr in Deutschland? Wie groß ist die Angst der Konsumenten und wie können sie sich vor einem gefälschten Medikament schützen? Antworten auf diese Fragen geben Michael Burkhart, Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft bei PwC, und Nils Wolfgang Bings, Experte für Gewerblichen Rechtsschutz bei PwC, im Interview.

Kavaliersdelikt oder schwere Straftat – wie ordnen Sie Produktpiraterie im Handel mit Medikamenten ein?

Michael Burkhart: Marken- und Produktpiraterie gelten als schwere Form der Wirtschaftskriminalität. Durch Fälschungen wird der Wirtschaft ein enorm hoher Schaden zugefügt: Nach einer Erhebung von der OECD und dem Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) liegt der Anteil von gefälschten Waren branchenübergreifend bei 3,3 Prozent des Welthandels – das entspricht einem Wert von rund 460 Milliarden Euro. Die Dunkelziffer fällt bei dem Thema vermutlich noch deutlich höher aus. Auch die Pharmaindustrie ist stark von Produktpiraterie betroffen. Den Unternehmen entsteht durch Fälschungen ein jährlicher Schaden von 150 bis 200 Milliarden Euro. Hinzu kommt der Vertrauensverlust in die Marke. Was noch viel schwerer wiegt: Gefälschte Medikamente stellen eine große Gefahr für die Gesundheit der Verbraucher dar – nach Schätzungen sterben jährlich weltweit eine Million Menschen an den Folgen.

Ist den Verbrauchern diese Gefahr bewusst?

Burkhart: Ja, das zeigt unsere Studie „Healthcare-Barometer 2019“ eindeutig. Mehr als jeder zweite Bürger hat Angst vor illegalen Arzneimitteln beim Versand von Medikamenten aus dem EU-Ausland. Die Bürger fürchten im Fall von Plagiaten vor allem schwere Nebenwirkungen, die ausbleibende Heilwirkung und allergische Reaktionen. Dennoch stellen wir fest, dass der Online-Versandhandel sich auch im Pharmasektor durchgesetzt hat – etwa zwei Drittel der Bürger haben ein Medikament bereits im Netz bestellt, weitere zehn Prozent planen dies künftig.

Wie schützen sich Verbraucher am besten vor Produktpiraterie – ist der Gang in die Apotheke vor Ort sicherer als der Kauf bei der Online-Konkurrenz?

Nils Wolfgang Bings: Arzneimittel durchlaufen strenge Kontrollen. Daher lässt es sich in aller Regel verhindern, dass Fälschungen in die deutsche Lieferkette geraten. Die zertifizierten und in Deutschland zugelassenen Online-Apotheken bieten Verbrauchern in diesem Punkt denselben hohen Schutz wie die Apotheken vor Ort. Mehr Sorgen dagegen machen uns Arzneimittel, die über sonstige Online-Plattformen vertrieben werden. Bei ihnen können sich Verbraucher keinesfalls sicher sein, dass sie ein Originalprodukt in den Händen halten. Mit Markenpiraterie im Pharmasektor machen Kriminelle inzwischen mehr Geld als mit Drogenhandel. Besonders vorsichtig sollten Verbraucher sein, wenn Medikamente im Netz weit unter Marktpreis angeboten werden.

Seit Februar 2019 gilt europaweit ein neues Gesetz, mit dem illegale Arzneimittel bekämpft werden sollen. Was kann das neue System zur Fälschungsabwehr bewirken?

Bings: Das IT-basierte Schutzsystem sorgt dafür, dass verschreibungspflichtige Medikamente noch einmal kurz vor Abgabe auf ihre Echtheit geprüft werden. Jedes Medikament ist dazu vom Hersteller mit einer individuellen Packungsnummer versehen, zusätzlich sind rezeptpflichtige Arzneimittel mit einem Erstöffnungsschutz ausgestattet. In Deutschland wird das neue Recht durch das System securPharm umgesetzt. In der legalen Lieferkette sind Fälschungen so praktisch unmöglich. Allerdings sind verschreibungsfreie Medikamente nicht eingeschlossen, und das System hat keine Auswirkungen auf das Problem der Arzneimittel aus illegalen Quellen, die den Unternehmen der Pharmabranche großen Schaden zufügen. Hinzu kommt, dass das Gesetz nur europaweit gilt, die meisten Hersteller ihre Produkte aber global vertreiben.

Welche Konsequenzen hat Markenpiraterie für die Pharmaindustrie? Wie schützen sich die Unternehmen am besten vor den Fälschern?

Burkhart: Die Unternehmen erkennen die Gefahr, die mit Produktpiraterie verbunden ist. Wie eine Studie von Strategy&, der Strategieberatung von PwC, aus dem Jahr 2017 belegt, ist mehr als jeder zweite Entscheider davon überzeugt, dass die Schutzmaßnahmen ausgebaut werden müssen. Allerdings sind 73 Prozent der Führungskräfte aus den USA, Europa, Afrika und China, die wir befragt haben, auch zufrieden mit den Sicherheitsmaßnahmen zur Chargenrückverfolgung. Die Unternehmen stehen Sicherheitslösungen im Kampf gegen Produktpiraterie offen gegenüber, sie wissen aber auch, dass der Fälschungsschutz hohe Investitionen in Technologien braucht. Ich bin aber davon überzeugt, dass sich rund um das Thema Markenpiraterie neue Geschäftschancen ergeben werden: Unternehmen, die digitale Sicherheitslösungen wie zum Beispiel integrierte Datenmanagementsysteme zum Schutz vor Fälschungen anbieten, eröffnet sich ein großes Potenzial auf dem Markt.

Warum ist es so schwer für die Hersteller, sich gegen Produktpiraterie zu wehren?

Bings: Der illegale Online-Handel im Bereich Pharma agiert schnell und anonym, Fälscher gehen immer aggressiver und mit ausgefeilteren Methoden vor. Deshalb ist es für die Rechteinhaber so schwierig, den Plagiaten im Netz auf die Spur zu kommen. PwC hat daher das Piracy Detection Tool entwickelt, eine intelligente Suchmaschine, die gefälschte Produkte im Internet aufspürt. Das Tool zeichnet sich durch eine hohe Marktabdeckung aus, dadurch können Fälschungen auch jenseits der gängigen Plattformen gefunden werden. Die Informationen bilden die Grundlage für Durchsetzung von Ansprüchen – wie Unterlassungsansprüche, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche – die Zusammenarbeit mit dem Zoll und den Strafbehörden. Künftig wird es für Pharmaunternehmen wichtig sein, über den reinen Schutz der Marke hinaus auch Sicherheitslösungen zum Fälschungsschutz zu installieren. Das wird auch durch digitale Technologien möglich sein.

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Roland M. Werner

Partner, Leiter Gesundheitswirtschaft & Pharma, Frankfurt am Main, PwC Germany

+49 170 7628-557

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Nils Wolfgang Bings

Senior Manager, Düsseldorf, PwC Germany

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