06 Dezember, 2022
Ein Interview mit Mathias Elsässer. Kundenzentrierung bedeutet mehr als Rabattaktionen und wöchentliche Newsletter, sagt PwC-Experte Mathias Elsässer. Er plädiert für die ganzheitliche Ausrichtung sämtlicher Unternehmensprozesse und Technologien auf eine personalisierte und mehrwertschaffende Customer Experience.
Dafür braucht es aus seiner Sicht vor allem zwei Dinge: Daten und Automatisierung. Im Interview spricht der Marketing-Experte darüber, worauf es bei der Transformation zu einem kundenzentrierten und datengetriebenen Marketing ankommt.
Die Kundenzentrierung ist in den vergangenen Jahren zum obersten Gebot für zukunftsfähige Marketingmodelle avanciert. Dennoch hadern viele Unternehmen mit der Umsetzung dieser Maxime. Woran liegt das?
Mathias Elsässer: Wenn es um datengetriebene Marketingsysteme geht, wird es in der Regel ziemlich schnell abstrakt. Die Folge: Marketingverantwortliche setzen in entscheidenden Momenten lieber auf ihre Intuition, statt die Extrameile zu gehen und ihre Annahmen auf belastbare Daten zu stützen. Häufige Bremsklötze für Data-Driven Marketing sind zudem überfrachtete Prozess- und Technologielandschaften sowie fehlendes Data Know-how.
In vielen Unternehmen sind über die Jahre komplexe, meist abteilungs- und produktspezifische IT-Systeme und -Tools gewachsen.
Das macht einen zentralen Blick auf das Verhalten einzelner Kunden unmöglich, ebenso wie eine echtzeitnahe Anpassung von Marketingaktivitäten entlang der Customer Journey. Während etwa an einem Standort eigenmächtig neue Software eingeführt wird, entwickelt der andere einen umständlichen Workaround. Die nächste Abteilung arbeitet parallel noch mit einer völlig veralteten Lösung, die seit Jahren keinen Support mehr bekommt.
Wie gelingt es Unternehmen vor diesem Hintergrund, die Transformation zu einem kundenzentrierten und datengetriebenen Marketing erfolgreich zu meistern?
Elsässer: Um ein „Closed-Loop-Marketing“ zu erreichen, müssen Unternehmen einen kontinuierlichen Fluss von strategischer Marketingplanung, Kampagnenausführung und -automatisierung aufbauen.
Statt die überladenen und komplexen Marketingstrukturen in einem langwierigen Kraftakt zu transformieren, hilft die Konzentration auf isolierte Einzelbereiche dabei, Abhängigkeiten zu lösen und Ballast abzuwerfen.
Das gesamte Marketinguniversum wird vor der Transformation auf eine Reihe fest definierter Einzelbereiche heruntergebrochen, evaluiert, bedarfsorientiert optimiert und schließlich wieder zu einem neuen Zielbetriebsmodell zusammengesetzt.
Was können diese Einzelbereiche eines kundenzentrierten Marketing sein?
Elsässer: Das können sowohl technologische als auch prozessuale „Atome“ innerhalb des Systems sein: So wird vom Kampagnenmanagement über KI- und Predictive Analytics-Lösungen bis zur Budgetplanung jede Einzeldisziplin detailliert betrachtet und gewinnbringend in ein neues System überführt. Dieses Vorgehen ermöglicht eine zügige und erfolgreiche Transformation zu einer mit Big Data gefütterten, kundenzentrierten Organisation. Hier fließen alle Daten zu einzelnen Kunden in einem System zusammen und ermöglichen ein intelligentes, datengetriebenes Herantreten an den User. Sind sämtliche Prozesse, Plattformen und Technologien im Marketing einmal auf eine ganzheitliche, datengetriebene Automatisierung ausgerichtet, zahlt sich das für das gesamte Unternehmen aus – und nicht zuletzt auch für die Kunden, für die man all das schließlich macht.
Was sind die konkreten Vorteile eines datengetriebenen und kundenzentrierten Marketing?
Elsässer: Mit einem daten- und kundenzentrierten Ansatz stellen Marketingverantwortliche sicher, dass sie zu jeder Zeit mit ihren Kunden in Kontakt bleiben und Verschiebungen innerhalb der Zielgruppen nicht an ihnen vorbei gehen. Alle Interaktionen werden in einem Datenmodell erfasst, so dass Unternehmen umfassende 360°-Kundenprofile erstellen können. Mit diesen Profilen sind Marketingmanager in der Lage, umfangreiche Verhaltensanalysen durchzuführen und so zeitnah Rückschlüsse auf Marktveränderungen oder Kontextverschiebungen zu ziehen. Strategien wie Retargeting, Look-a-like-Modellierung, Personalisierung und Empfehlungen basieren auf echten Profilen mit belastbaren Erkenntnissen.
Damit reduzieren Unternehmen das Risiko, aufgrund von falschen Annahmen Budgets zu verschwenden und ihre Ziele und Zielgruppen zu verfehlen.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Elsässer: Die richtigen Daten können einem Onlinehändler beispielsweise verraten, dass seine Zielgruppe ihre Customer Journey an den Wochenenden vermehrt via Social Media beginnt, so dass er sein Kampagnenbudget für dieses Zeitfenster anteilig auf Social Ads verschieben kann. Weil solche Vorgänge nicht jedes Mal von Hand und schon gar nicht nach Bauchgefühl erfolgen sollten, müssen aus Daten handfeste Erkenntnisse über zukünftige Entwicklungen werden.
Hier kommen sowohl Predictive Analytics als aus Prescriptive Analytics ins Spiel, die wiederum die Grundlage für einen automatisierten, in sich geschlossenen Kampagnenkreislauf bilden: Daten werden am Touchpoint erfasst, auf Basis von Machine-Learning-Algorithmen analysiert, fließen als Next-Best-Action in das Targeting ein und erzeugen im Zuge der Kampagnenausführung wiederum neue Daten.
So entsteht ein Marketingmodell, das nicht nur hoch effizient und kaum anfällig für menschliche Fehlinterpretationen ist, sondern auch dem Kunden mit personalisierten und passgenauen Botschaften einen echten Mehrwert bietet.
Um ein solches hochpersonalisiertes Targeting aufzubauen, sind Unternehmen aber zunehmend auf die Daten und somit auf das Vertrauen ihrer Kunden angewiesen. Wie können sie sich das sichern?
Elsässer: Das stimmt, zum Beispiel unterstützen gängige Browser zukünftig keine Third-Party-Cookies mehr. Folglich entscheiden Kunden immer stärker selbst, was mit ihren persönlichen Informationen und Daten geschehen soll. Dementsprechend ist es nicht nur wichtig, sämtliche digitalen und analogen Touchpoints in der Customer Journey mit in die Analyse einzubeziehen, sondern den Kunden auch konkrete Anreize für das Teilen ihrer Daten zu bieten.
Mathias Elsässer
Mathias Elsässer ist Partner im Bereich Marketing Advisory bei PwC Deutschland und Mitglied des Leadership-Teams für den Bereich Customer Transformation. Der Diplom-Physiker verfügt über einen MBA und mehr als 25 Jahre Berufs- und Führungserfahrung in der Beratung. Er leitet weltweit Strategie-, Geschäfts- und IT-Beratungsprojekte für große Unternehmen unterschiedlichster Branchen. Er ist bekannt für seine innovative Art, physikalische Denkweisen auf das Marketing anzuwenden.