Interview: „Die Erde kann unsere aktuellen Ernährungsgewohnheiten nicht langfristig unterstützen“

10 Oktober, 2022

Ein Interview mit Harald Dutzler. Bereits heute hungern 300 Millionen Menschen weltweit. In Folge des Ukraine-Kriegs könnten knapp 50 Millionen zusätzlich in Hunger und Armut abrutschen, warnt das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen.

Im Interview spricht Harald Dutzler, Experte für Nachhaltigkeit bei PwC Strategy&, über Ernährungstrends. Er beschreibt, wie sich unsere Ernährungs- und Anbaugewohnheiten ändern müssen, damit alle Menschen genug zu essen haben – und das Klima geschont wird.

Der Ukraine-Krieg verschärft die Nahrungsmittelknappheit und damit die weltweite Hungerkrise. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?

Harald Dutzler: Die Welt steuert auf eine Ernährungskrise zu. Der Krieg in der Ukraine verschlimmert die Lage: Bis zum Kriegsbeginn lieferten die Ukraine und Russland zusammen rund 18 Prozent der weltweit gehandelten Feldfrüchte. Insbesondere in den Ländern des globalen Südens fehlen nun Agrarprodukte. Das verstärkt die bereits vor dem Krieg bestehende Hungerkrise. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung und damit auch der Bedarf an Nahrungsmitteln. Die Ressourcen und der Platz zum Anbau von Nahrungsmitteln sind jedoch begrenzt. Dazu kommen die Folgen des Klimawandels: Extreme Wetterereignisse wie Dürren und Überschwemmungen werden häufiger und zerstören die Ernten. Die aktuelle Lage macht deutlich: Die Erde ist nicht darauf ausgerichtet, langfristig die aktuell herrschenden Landwirtschafts- und Ernährungsgewohnheiten zu unterstützen.

Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern, damit alle Menschen auf der Erde genug zu essen haben?

Dutzler: Aus meiner Sicht gibt es drei wesentliche Hebel, um die Ernährungskrise in den Griff zu bekommen: Erstens braucht es mehr Substitute für Nahrungsmittel, die ineffizient sind in der Produktion und vergleichsweise viel CO2 ausstoßen. Damit meine ich in erster Linie Fleisch und andere tierische Produkte. Zum zweiten ist es wichtig, die Verluste und Abfälle entlang der Nahrungsmittellieferkette zu minimieren.

Ein Drittel der produzierten Nahrungsmittel – rund 1,3 Milliarden Tonnen – werden verschwendet.

Mit dieser Menge könnten wir rund zwei Milliarden Menschen ernähren. Das entspricht mehr als dem bis 2050 erwarteten Bevölkerungszuwachs. Um drittens müssen wir bei der Produktion von Nahrungsmitteln auf nachhaltigere Methoden setzen.

Fangen wir mit dem ersten Hebel an, den Nahrungsmittelsubstituten. In Industriestaaten scheint insbesondere bei der jungen Generation das Bewusstsein zu wachsen, dass unsere Ernährungsgewohnheiten nicht nur die Gesundheit beeinflussen, sondern auch die Umwelt und das Klima. Welche Tendenzen beobachten Sie hier?

Dutzler: Nachhaltig einkaufen und vegetarisch oder gar vegan leben liegt voll im Trend. Der Anteil der Veganer:innen, Vegetarier:innen und Flexitarier:innen steigt in den wohlhabenderen Industriestaaten seit Jahren. In einer PwC-Befragung aus dem Frühjahr 2022 geben rund 20 Prozent der Menschen in Deutschland an, ganz auf Fleisch zu verzichten oder den Konsum zu verringern. Die Beweggründe für eine vegetarische oder vegane Ernährung sind längst nicht mehr nur das Tierwohl, sondern auch die eigene Gesundheit und die Klimabilanz des Essens. Fest steht: Fleisch ist ein vergleichsweise ineffizientes Nahrungsmittel. Um das gleiche Volumen von Kalorien zum Verzehr zu erzeugen, brauche ich bei Fleisch das einhundertfache an Landfläche im Vergleich mit pflanzlichem Ackerbau.

Tierische Lebensmittel belasten das Klima deutlich stärker als eine pflanzliche Ernährung.

Bei der Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch werden 99,5 Kilo CO2-Äquivalent freigesetzt; bei einem Kilogramm Weizen sind es nur 1,6 Kilo. Wenn sich immer mehr Menschen vegan, also auf Basis pflanzlicher Lebensmittel statt fleischreich ernähren, ließen sich die auf Lebensmittel bezogenen CO2-Emissionen halbieren.

Inwiefern hat der Markt bereits auf diese Erkenntnis reagiert?

Dutzler: Die Nachfrage nach pflanzlichen Proteinen als Ersatz für tierische Lebensmittel steigt.

Das weltweite Marktvolumen für pflanzliche Fleischalternativen wird bis 2030 auf rund 24 Milliarden Euro geschätzt.

Viele etablierte Hersteller, Supermarkt- und Restaurantketten springen auf den Trend zu veganer Ernährung auf: So hat die Fast-Food-Kette Burger King kürzlich in Wien ihr erstes komplett veganes Restaurant eröffnet. Ebenfalls in Österreich ging im September 2022 mit Billa Pflanzilla der erste rein vegane Supermarkt eines Lebensmitteleinzelhändlers an den Start. Und auch traditionelle Fleischproduzenten wie die Rügenwalder Mühle erweitern ihr Sortiment längst um vegane Alternativen.

In den westlichen Industriestaaten ist weniger Mangelernährung, sondern eher Übergewicht das Problem. Knapp 60 Prozent der Erwachsenen in Europa sind mittlerweile übergewichtig. Wo sehen Sie Ansatzpunkte, um dieses Problem in den Griff zu bekommen?

Dutzler: Insbesondere stark verarbeitete Produkte wie Fertiggerichte sind oft wenig nahrhaft und enthalten viel versteckten Zucker. Hier sind zum einen die Nahrungsmittelhersteller gefragt, mehr gesunde Nahrungsmittel anzubieten. Aber auch die Politik kann Anreize setzten: Länder wie Frankreich, Großbritannien und Polen haben eine Zuckersteuer eingeführt. In Deutschland gibt der „Nutri-Score“ als freiwillige Angabe auf der Produktverpackung den Verbraucher:innen beim Einkauf eine grobe Orientierung, wie gesund und nahrhaft ein Produkt ist. Schließlich kann auch Convenience Food nachhaltig sein, wenn Produzenten weniger Zucker, dafür aber mehr pflanzliche Zutaten verwenden, die Lieferketten optimieren und nachhaltige Verpackungen entwerfen.

Als zweiten Hebel, um der Ernährungskrise und dem Klimawandel entgegenzuwirken, nannten Sie die Vermeidung von Abfällen. Denn während in einigen Ländern der Welt Hunger herrscht, landen in den Industriestaaten jährlich Millionen Tonnen an Lebensmitteln im Müll.

Dutzler: Aktuell wird in der Tat ein Drittel der Nahrungsmittel entlang der Nahrungsmittellieferkette verschwendet – noch bevor diese zu den Endverbraucher:innen gelangen. Zwar sind Verluste in der Lebensmittelproduktion unvermeidlich, aber 30 Prozent sind viel zu viel. Denn auch bei den Verbraucher:innen landen nochmal zwischen zehn und 30 Prozent der gekauften Lebensmittel im Müll.

Was lässt sich diese Verschwendung vermeiden?

Dutzler: Digitale Technologien bieten großes Potenzial, um Ineffizienzen entlang der Lieferkette zu vermeiden. In der datengetriebenen Präzisionslandwirtschaft helfen etwa Sensoren dabei, den Wässerungs- und Düngebedarf exakt zu bestimmen. Ein weiteres Beispiel sind Lieferketten, die sich in Echtzeit verfolgen lassen. So können die Hersteller eine optimierte Verteilung der Lebensmittel sicherstellen.

Damit die Verbraucher:innen weniger Lebensmittel wegwerfen, müssen Produkte länger haltbar gemacht und die Vorräte in Haushalten optimal genutzt werden.

Auch hier könnten innovative Tools helfen, etwa eine App, die auf der Basis von Künstlicher Intelligenz die vorrätigen Lebensmittel mit kurzem Mindesthaltbarkeitsdatum für anstehende Mahlzeiten vorschlägt.

Schlecht für die Umwelt sind auch die Verpackungen. Was kann die Branche hier tun, um den Footprint zu verbessern?

Dutzler: In puncto Verpackungen beobachte ich, dass viele Unternehmen seit Jahren daran arbeiten, diese zu optimieren, zu reduzieren und umweltfreundlich zu gestalten. So hat die Schweizer Supermarktkette Migros mittlerweile vollständig kompostierbare Kaffee-Kapseln im Sortiment, die ohne die übliche Plastik- oder Aluminiumverpackung auskommen.

Ein großes Problem sind zudem die langen Transportwege, die viele Lebensmittel zurücklegen.

Dutzler: Das stimmt. Wir wollen auch im Winter eine Vielfalt an frischem Obst und Gemüse im Supermarkt einkaufen. Erdbeeren aus Spanien, Bohnen aus Marokko, Bananen aus Mittelamerika. Aber auch hier beobachte ich ein Umdenken: Der Trend geht zu regionalen und saisonalen Bio-Lebensmitteln. Dazu kommen neue Vertriebswege: Künftig könnten (autonome) elektrische Zustellfahrzeuge die Lebensmittel zu den Konsument:innen nach Hause bringen und den Weg zum Supermarkt ersetzen.

Als dritten Hebel, um der Ernährungskrise und dem Klimawandel entgegenzuwirken, nannten Sie nachhaltigere Methoden zur Nahrungsmittelproduktion. Wie können diese konkret aussehen?

Dutzler: In dicht besiedelten Regionen müssen die Anbauflächen für Nahrungsmittel intelligent maximiert werden. Dafür sind senkrechte Anbauflächen ein vielversprechender Ansatz.

Das weltweite Marktvolumen dieses so genannten „vertical Farmings“ wird bis 2030 auf 33 Milliarden Euro geschätzt.

So lässt sich Nahrung möglichst nah bei den Konsumenten anbauen und lagern. Das verkürzt die Transportwege ebenso wie die Land- und Wassernutzung deutlich.

Welchen Beitrag können die Lebensmittelhersteller spielen?

Dutzler: Sie sollten nachhaltige Methoden zur Nahrungsmittelproduktion ganzheitlich verstehen. Angefangen bei der Auswahl der anzubauenden Lebensmittel über die Bewirtschaftung der Anbauflächen bis zum Anbauort. So könnten sie etwa bewusst auf Lebensmittel setzen, die weniger CO2-Emissionen verursachen, beispielsweise Bohnen als Basis für vegane Fleischprodukte. Sie könnten sich für ökologische statt konventionelle Landwirtschaft stark machen und Projekte wie vertikale, städtische Farmen unterstützen, die im Vergleich zum Feld im Freien weniger Land und Wasser benötigen.

Was sind die Erfolgsfaktoren bei der Umstellung auf Nachhaltigkeit in der Nahrungsmittelkette?

Dutzler: Für Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Lebensmittelindustrie kommt es jetzt darauf an, Finanzmittel für Investitionen in innovative Technologien zur ressourcen- und umweltschonenden Lebensmittelproduktion freizumachen. Wichtig finde ich es auch, gemeinsam mit vor- und nachgelagerten Unternehmen der Wertschöpfungskette an Nachhaltigkeitszielen zu arbeiten.

Nicht zuletzt ist die Kommunikation mit den Verbraucher:innen ein Schlüssel zum Erfolg.

Unternehmen müssen transparent informieren und mögliche Preisanpassungen glaubwürdig belegen. Aber das allerwichtigste für Unternehmen entlang der kompletten Wertschöpfungskette in der Ernährungsindustrie ist, jetzt schnell aktiv zu werden und in die Umsetzung zu gehen. Ein wichtiger Treiber dafür ist nicht zuletzt die zunehmende Regulatorik rund um CO2-Emissionen und Verpackungen.

Harald Dutzler

Harald Dutzler

Harald Dutzler ist als Partner im Bereich Operations Strategy bei Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC, am Standort Wien tätig. Seine Schwerpunkte liegen dabei in den Bereichen Strategieentwicklung, Kostentransformation und Organisationsgestaltung. Nach seinem Diplomstudium in Wirtschaft und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Wien verantwortete Harald Dutzler zahlreiche internationale Projekte im europäischen Raum und in den USA. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in verschiedenen Branchen, darunter besonders im Handel und in der Konsumgüterindustrie.

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