30 November, 2020
Ein Kommentar von Jörg Wuttke. Der Konflikt zwischen den USA und China eskaliert und stürzt die Weltwirtschaft in immer größere Ungewissheit. Amerika ist weiterhin bestrebt, Chinas Wirtschaft zu destabilisieren. China selbst koppelt sich in vielen entscheidenden Sektoren weiterhin entschlossen von der Welt ab. Entsprechend der „Strategie des doppelten Umlaufs“ (Dual Circulation Strategy) begrüßt China Außenhandel und Investitionen, wo sie am dringendsten benötigt werden.
Gleichzeitig investiert das Land massiv in die eigenen Fähigkeiten. Viele fragen sich, welche Rolle Europa dabei spielt. Während die Europäische Union (EU) China als systemischen Rivalen betrachtet, sieht der europäische Block seine asymmetrischen Vereinbarungen mit China als Gelegenheit, sein Engagement zu vertiefen und ein neues Regelwerk zu etablieren.
Am 14. September fand ein virtuelles Treffen statt mit Charles Michel (Europäischer Rat), Ursula von der Leyen (Europäische Kommission) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (Vertreterin der deutschen EU-Ratspräsidentschaft) sowie ihnen gegenüber Präsident Xi Jinping. Im Mittelpunkt der Beratung stand das umfassende Investitionsabkommen (Comprehensive Agreement on Investment, CAI) zwischen der EU und China.
Der Investitionsvertrag wäre erst das zweite bedeutende Wirtschaftsabkommen zwischen der EU und China nach dem im Juli 2020 genehmigten Abkommen über Geographical indications. – Eine geografische Herkunftsangabe ist beispielsweise die Bezeichnung „Bitburger“ für Bier.
Das ideale CAI erleichtert europäischen Unternehmen den Zugang zum chinesischen Markt. Es ermöglicht ihnen, unter gleichen Wettbewerbsbedingungen zu konkurrieren. Umgekehrt sollte das auch den chinesischen Unternehmen auf ihrem größten Absatzmarkt, der EU, erlaubt sein. All das festzulegen ist sicher sinnvoll, aber keineswegs bahnbrechend.
Der Wille vieler europäischer Wirtschaftsführer und Politikerinnen mag weiterhin für ein starkes CAI sprechen, aber ihre Wähler und die politischen Parteien äußern sich immer kritischer über Chinas politische und soziale Richtung. Nach dem „Global Attitudes Survey“ des Pew-Instituts vom Sommer 2020 sehen nur 25 Prozent der Deutschen China positiv, 71 Prozent dagegen negativ. 2002 waren die Deutschen mit 46 zu 37 noch wesentlich China-freundlicher.
Viele Europäer haben zuletzt viel über „17 + 1“ (der China-Mittel-Ost-Europa-Gipfel), „Wolfskrieger“ (chinesische Diplomaten, die in westlichen Medien gegen ihre Gastländer wettern), die Zwangsarbeit in Xinjiang und die Auswirkungen des Nationalen Sicherheitsgesetzes auf Hongkong gelesen. Sogar die jüngste Europareise des chinesischen Topdiplomaten Wang Yi hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Er griff die Tschechische Republik massiv an, die Präsident Xi Jinping vor vier Jahren überaus freundlich in Prag begrüßt hatte. In Europa könnten solche Themen das Potenzial haben, jede Chance auf den erfolgreichen Abschluss eines Abkommens zunichtezumachen.
Dabei ist die Geduld der europäischen Staats- und Regierungschefs bereits bis zum Äußersten strapaziert, da sich die im Februar 2012 begonnenen Verhandlungen über das Investitionsabkommen über mehr als
30 Runden hinzogen. Nichtsdestotrotz sollte Europa seine Grundsätze um eines Abkommens willen keineswegs außer Acht lassen.
Eine umfassende Vereinbarung ist dringend notwendig, vor allem da die USA die Welthandelsorganisation (WTO) gegenwärtig untergraben. Die Erfahrung der Europäer und ihr Wille zur Leistung sind dagegen offensichtlich. Sie haben seit 2012 weitreichende Freihandels- und Investitionsabkommen mit vielen Volkswirtschaften abgeschlossen.
Der gegenseitige Zugang zu den Märkten der anderen Seite muss möglich sein. Kritische Punkte für den Abschluss eines ähnlichen Abkommens mit China sind aus europäischer Sicht vor allem die Behandlung staatlich kontrollierter Unternehmen, Subventionen und die Arbeitnehmerrechte. Da der europäische Markt für chinesische Investoren bereits weitgehend offen ist, ist es für die EU nicht opportun, China auf halbem Wege entgegenzukommen.
Das politische „Window of Opportunity“ wird wahrscheinlich nicht mehr lange offenbleiben. Die Wirtschaft ist die Grundlage der Beziehungen zwischen der EU und China. Europa ist bereit, sie in diesem Jahr zu stärken, solange es dazu in der Lage ist. Ob China das ebenso sieht, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.
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Jörg Wuttke
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Jörg Wuttke ist seit 2019 Präsident der EU-Handelskammer in China. Dieses Amt hatte er bereits von 2007 bis 2010 sowie von 2014 bis 2017 inne. Seit 1997 ist Wuttke Geschäftsführer und Generalbevollmächtigter der BASF in Beijing. Er ist Mitglied des Beratergremiums des Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin und lebt seit mehr als drei Jahrzehnten in Beijing.
Dieser Kommentar, der bereits auf dem NZZ-Blog The Market erschienen ist, wurde für den PwC China Compass angepasst.