Regulatorische Änderungen in China – eine erste Einschätzung

29 November, 2021

Meinungsbeitrag von Felix Sutter, Präsident der Wirtschaftskammer Schweiz-China (SCCC). Seit dem Sommer hat China regulatorische Änderungen in einem Ausmaß und in einer Kurzfristigkeit angekündigt und umgesetzt, die ihresgleichen suchen. Diese Veränderungen betreffen auch Industrien, die in den letzten Jahren eine wesentliche Rolle für das Wirtschaftswachstum spielten und Tausenden von Hochschulabgängern Arbeitsplätze boten. Wie sind diese Signale zu lesen und zu interpretieren? 

Es mag sein, dass manche Aussagen dieses Textes bei seiner Veröffentlichung bereits wieder überholt sind. Das unterstreicht aber nur die Dramatik der aktuellen Situation. Regeln, die früher jahrelang galten, werden zurzeit innerhalb von Wochen und Tagen über Bord geworfen und durch neue ersetzt. Diese neuen Regeln verändern das Spielfeld radikal. 

Wer hätte im Juli 2021 gedacht, dass die chinesischen Jugendlichen einen Monat später nur noch freitags, samstags und sonntags von 19 bis 20 Uhr am Computer spielen dürfen? Allein das hat viele Quartalsvorhersagen obsolet gemacht und viele Arbeitsplätze im Unterhaltungssektor vernichtet.

Das Ziel ist die Kontrolle über das Virus und die Deutungshoheit

Im Bildungsbereich wurden ebenfalls Tausende von Stellen gestrichen, weil bildungsnahe Institute ab dem Sommer 2021 keinen Gewinn mehr erwirtschaften dürfen. Diese Industrie war für viele Hochschulabsolventen die einzige Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu finden. Erst im September wurde zudem klar, dass seit dem Frühjahr eine Vielzahl von Finanzblogs gelöscht und ihre Autoren inhaftiert worden sind. Seit vielen Jahren verfügbare Statistiken, wie zum Beispiel die „Statistics on Social Disturbances“, werden nicht mehr publiziert. Das hat ernsthafte Konsequenzen für Finanzinvestoren, die in China investiert sind oder es sein möchten.

Diese Maßnahmen haben die westlichen Medien in großem Stil aufgegriffen und dazu genutzt, das zunehmend negative Bild von China zu verdüstern. Dabei geht es nicht nur um die Wahrnehmung Chinas im Westen, sondern auch um die Möglichkeit der chinesischen Bevölkerung zu reisen, sich von der Welt außerhalb Chinas ein eigenes Bild zu machen. Abgelaufene Pässe werden grundsätzlich nicht erneuert, es sei denn, die Menschen, die einen Antrag stellen, können dem chinesischen Passbüro die Dringlichkeit ihrer Reise glaubhaft machen. 

Was sind die Gründe für diese aus westlicher Sicht dramatischen Änderungen? Viele haben mit der Pandemie zu tun, die das Bild der chinesischen Bevölkerung von der Welt stark verändert hat. In den Augen Chinas handelt der Westen angesichts der viralen Bedrohung unverantwortlich und einzig das rigide chinesische Vorgehen hält das Virus unter Kontrolle.

Mit diesem Narrativ hat sich die chinesische Regierung die Deutungshoheit gesichert und nutzt sie nun für verschiedene Reformprojekte. Dass die Bildung ihrer Kinder eine enorm hohe finanzielle Last für chinesische Eltern ist, ist seit Langem bekannt. Dass das chinesische Bildungssystem nun zulasten der privaten Bildungsindustrie umgebaut wird, kann China-Kenner nicht überraschen, denn diese Industrie hat keine Lobby. 

Im Technologiesektor haben sich die sorgsam behüteten und gepäppelten Technologie-Startups zu Konglomeraten entwickelt, die den Markt beherrschen und verzerren. Ihre Macht über eine schier unvorstellbare Menge an Kundendaten, Finanzinstrumenten und Zahlungssystemen sowie ihre zentralbankähnliche Rolle im Markt fordern den Staat schon seit Längerem heraus. 

Wie die Vergangenheit gezeigt hat, greifen die chinesischen Regulatoren mit ihren Erlassen seit jeher eher zum Holzhammer als zum Skalpell, um Nutzeffekte zu verstärken oder schädliche Nebenwirkungen einzudämmen. Aufgrund mangelnder Ressourcen waren die Regulatoren oft schlicht nicht in der Lage, die Umsetzung im Markt einzufordern. Das wird sich künftig ändern, denn zum einen hat sich die Zahl der Marktteilnehmer verringert – im Technologiesektor gibt es zum Beispiel nur noch eine Handvoll marktdominierender Firmen – und zum anderen stellen neue Technologien den Regulatoren Werkzeuge zur Verfügung, die es ihnen ermöglichen, die Einhaltung der Regeln umfassend zu kontrollieren.

Felix Sutter
Tel.: +41 79 4052785
E-Mail

Es ist zu erwarten, dass sich das regulatorische Umfeld nach den Olympischen Winterspielen im Februar 2022 und nach der Wiederwahl von Präsident Xi Jinping für eine weitere Fünfjahresperiode entspannen wird. Derzeit sind in China jedoch die Kunst des Beobachtens und die Fähigkeit des Sich-in-Geduld-Übens gefordert.

Follow us

Contact us

Thomas Heck

Thomas Heck

Partner, PwC USA Business Group Leader & China Business Group, PwC United States

Tel.: +49 175 9365782

Dr. Katja Banik

Dr. Katja Banik

Redaktionsleitung, PwC Germany

Tel.: +49 151 14262429

Hide