20 September, 2017
Das Projektgeschäft im Bau- und Anlagenbau steckt seit Jahren in der Krise: Kosten und Wettbewerbsdruck nehmen zu, Projekte erfüllen immer seltener die gesteckten Ziele. Einen möglichen Ausweg aus dieser Misere verspricht die Digitalisierung. Der Einsatz moderner Technologien kann altbekannte Probleme lösen und zu Produktivitätssteigerung beitragen. Um das gesamte Potenzial der digitalen Projektabwicklung auszuschöpfen, muss die Branche allerdings ihr Geschäftsmodell anpassen und sich schrittweise auf neue Formen der Zusammenarbeit einstellen. Wie das gelingen kann, beschreiben Christian Elsholz und Martin Zündorf, Experten für Capital Projects & Infrastructure bei PwC.
Ob im Hochbau, der Verkehrsinfrastruktur, im Energiesektor oder der Luft- und Raumfahrt: Mit schöner Regelmäßigkeit geraten Projekte in Schieflage – und damit auch in die Medien. Immer wieder kommt es bei großen Investitionsprojekten rund um den Globus zu massiven Schwierigkeiten bei der Abwicklung: Termine verzögern sich, das Budget läuft aus dem Ruder. Eine PwC-Studie unter weltweit tätigen Bau- und Anlagenbaufirmen aus dem Jahr 2014 hat gezeigt, dass 86% der Projekte nicht die ursprünglichen Ziele erreichen, 71% erhebliche Zeitüberschreitungen aufzeigen und 60% aufgrund neuer Technologien die Ziele verfehlen (Quelle: PwC Studie, Building Beyond Ambition)
Eine weitere Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OSZE) belegt: Im Gegensatz zu anderen Industrien stagniert die Produktivität im Anlagenbau und der Bauindustrie seit Jahrzehnten – oder nimmt sogar ab. Ein Grund dafür: In der Projektsteuerung kommen kaum moderne Methoden zum Einsatz. Wertvolle Möglichkeiten zur Optimierung von Bauabläufen werden bisher nur vereinzelt in der Steuerung von Großprojekten angewandt. Dabei sind die Chancen zahlreich und vielversprechend: Von der Visualisierung der verschiedenen Projektvorgänge in Echtzeit über die Auswertung großer Datenmengen bis hin zu mobilen Internetzugängen auf der Baustelle oder der Vernetzung einzelner Maschinen.
Ohne den Einsatz digitaler Instrumente ist die Informationsverbreitung stark begrenzt. Denn eine konsistente Datenerfassung und -analyse sind so nicht möglich. Damit verbaut sich die Branche große Chancen: Denn insbesondere bei der Beschaffung und beim Vertragswesen können historische Performance-Analysen die Ergebnisse und das Risikomanagement verbessern. Ohne digitale Tools können die Projektpartner Abhängigkeiten und Relationen zwischen den Informationen nicht darstellen. Auftraggeber und Auftragnehmer arbeiten dann mit verschiedenen Versionen der Projektrealität. Dieser mangelhafte Informationsaustausch führt regelmäßig zu Unstimmigkeiten zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern bei Fragen wie Baufortschritt, Change Orders und Claim Management. In letzter Konsequenz verlängert das sehr oft die Projektlaufzeit.
Doch digitale Lösungen erobern nach und nach auch die Baubranche. Einige Vorreiter haben damit begonnen, digitale Kollaborationsplattformen und Field-Mobility-Lösungen zu etablieren. Gemeinsam mit Software-Anbietern entwickeln sie beispielsweise Cloud-basierte, mobile Baustellen-Überwachungsplattformen. Diese Lösung integriert Projektplanung, Engineering, physische Kontrolle, Budgetierung und Dokumentenmanagement für große Projekte. Mehrere Projektentwickler haben ihre Projektmanagement-Workflows bereits erfolgreich digitalisiert.
Mobilitätslösungen für Baustellen wirken sich positiv auf die Produktivität aus. Lange Zeit war es in Projekten kaum möglich, zentrale Planungs- und Baustellenteams zu verbinden und Informationen über den Fortschritt oder technische Probleme in Echtzeit zu teilen. Auf dieser „Baustelle“ hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan: Kostengünstige Verbindungen sind mittlerweile fast flächendeckend verfügbar, mobile Lösungen wie Tablets haben sich durchgesetzt. Dadurch ist eine neue Generation mobil-basierter Baustellenapplikationen entstanden. Solche Apps bieten etwa eine mobile Zeitmessung, Echtzeit-Kosten-Kodierung oder Geolocation von Arbeitnehmern. Zeitgleich hat die Entwicklung von Drohnen über Roboter bis zum 3D-Druck Fahrt aufgenommen. Kurz: Vielversprechende Technologien gibt es viele.
Bei allen Vorteilen dürfen Unternehmen nicht außer Acht lassen, dass die Digitalisierung ein grundsätzliches Umdenken erfordert. Veränderungen sind vor allem in vier Bereichen notwendig: bei der Organisation, den Prozessen, der Technologie sowie im Bereich Menschen & Kompetenzen.
Organisation & Rahmenwerk
Eine digitale Projektabwicklung bedeutet, dass Unternehmen die bestehenden Organisationsvorgaben und Steuerungsrahmenwerke weiterentwickeln müssen. Es gilt, neue vertragliche Konstellationen und Formen der Zusammenarbeit, die durch technologische Entwicklungen entstehen, zu durchdenken. Dazu gehören unter anderem folgende Rahmenwerke:
Menschen & Kompetenzen
Bei diesem Prozess müssen Unternehmen ihre Mitarbeiter mit- und ernst nehmen. Die Reaktionen der Belegschaft auf Veränderungen sollten sie dabei mit höchster Priorität behandeln. Das ist der Kern des Erfolgs, wie eine weltweite Studie unter führenden Bauunternehmen belegt: Mehr als die Hälfte der Befragten gab darin an, dass die größte Herausforderung der Zukunft ihre fehlende digitale Kultur sei. Um die Menschen bei diesen Veränderungen mitzunehmen, kommt es auf folgende Punkte an:
Prozesse
Wenn die Projektpartner simultan über eine digitale Plattform kollaborieren, verändert sich die Art und Weise der Zusammenarbeit grundlegend. Optimierte, schlanke Prozesse fördern eine lösungsorientierte Zusammenarbeit. Dazu gehören:
Technologie
Auch bei den Technologien sind weitreichende Anpassungen nötig. Darunter fallen folgende Maßnahmen:
1. Die digitale Strategie skizzieren
Der erste Schritt besteht darin, die digitale Reife des eigenen Unternehmens zu bewerten. Auf dieser Basis sollten sich Firmen klare und realistische Ziele für die nächsten fünf Jahre setzen. Es ist sinnvoll, die Maßnahmen, die den größten Nutzen versprechen, zu priorisieren. Wichtig ist, dass diese mit der Gesamtstrategie abgestimmt sind. Die Unternehmensführung muss bereit und motiviert sein, diesen Weg zu gehen.
2. Erste Pilotprojekte umsetzen
Pilotprojekte lassen sich hervorragend nutzen, um den Mehrwert der Digitalisierung für das eigene Unternehmen glaubwürdig zu belegen. Mit jedem erfolgreichen Pilotprojekt steigt die Unterstützung innerhalb der Organisation. Aber auch gescheiterte Projekte können helfen, mit Kunden und Technologiepartnern einen funktionierenden und agilen Ansatz zu erarbeiten.
3. Die notwendigen Fähigkeiten definieren
Durch die Pilotprojekte wird deutlich, welche Skills noch fehlen, um die digitalen Ziele zu erreichen. Es ist vor allem wichtig, eine gute Personal-Strategie zu entwickeln. Nur so lassen sich qualifizierte Mitarbeiter für die neuen Aufgaben gewinnen. Denn der Erfolg der Digitalisierung hängt maßgeblich von den Fähigkeiten und dem Wissen der Mitarbeiter ab.
4. Ausgewählten Technologien nutzen
Nun benötigen die Unternehmen ein Konzept, wie sich die ausgewählten Technologien am besten in der Organisation etablieren lassen. Funktionsübergreifende Teams sind ein guter erster Schritt. Später können diese vollständig in die Organisation eingebettet werden. Große Beachtung sollten Unternehmen dem Thema Data Analytics schenken. Wer die Ergebnisse von Datenanalysen direkt mit unternehmerischen Entscheidungen verknüpft, kann das Potenzial der Daten gewinnbringend einsetzen.
5. Die Transformation im gesamten Unternehmen vorantreiben
Um das volle Potenzial von Industrie 4.0 zu nutzen, ist ein unternehmensweiter Transformationsprozess nötig. Führungskultur ist dabei ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Die Unternehmensspitze trägt das Konzept voll mit und lebt die digitale Kultur vor. Alle Mitarbeiter sollten bereit sein, mit digitalen Technologien zu experimentieren und neue Wege einzuschlagen.
6. Auf die Zusammenarbeit mit Partnern setzen
Unternehmen können Partnerschaften oder Plattformen nutzen, wenn sie intern kein komplettes Angebot entwickeln können. Auch wenn es Überwindung kostet, Wissen mit anderen Unternehmen zu teilen und Akquisitionen sinnvoller erscheinen: Die Zusammenarbeit mit Partnern – Unternehmen, Startups, Forschungseinrichtungen – lohnt sich. Denn Kunden erwarten komplette Produkt- und Dienstleistungslösungen.