Umsatzbesteuerung von Fertigarzneimitteln – Droht eine neue Klagewelle?

27 Dezember, 2019

Krankenhausträger werden zum Jahresende 2019 mit einer Vielzahl von Anschreiben der gesetzlichen Krankenkassen konfrontiert, mit denen die Kassen gemeinnützige Krankenhäuser teilweise äußerst kurzfristig zur Abgabe verschiedener Erklärungen im Zusammenhang mit der Umsatzbesteuerung von Fertigarzneimitteln im ambulanten Bereich auffordern.

Zum einen verlangen die Kassen Auskünfte über den Gemeinnützigkeitsstatus des Krankenhauses. Zum anderen machen die Kassen Forderungen auf Rückzahlung von Umsatzsteuer bei Ansatz des ermäßigten Steuersatzes geltend und verlangen dazu die Abgabe von Verjährungsverzichtserklärungen.

Die geforderten Erklärungen sind unterschiedlicher Qualität

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Matthias Fischer
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Während einige Kassen bereits für Umsatzsteuerforderungen aus dem Jahr 2008 den Verjährungsverzicht verlangen, fordern andere dies ab 2015. Während einige vorgelegte Erklärungen eine Befristung des Verjährungsverzichts von zehn bis zwölf Monaten vorsehen, sind manche unbefristet. Während manche Kassen eine Pflicht zum Offenhalten von Bescheiden verlangen, sehen andere dies nicht vor. Ferner werden teilweise noch andere Rechtsfragen in die Verjährungsverzichtserklärung mit einbezogen.

Für die Krankenhäuser stellt sich die Frage, ob sie derartige Erklärungen in der angeforderten oder einer modifizieren Form abgeben oder ob sie es auf eine Klage ankommen lassen sollten. Hierzu sollte das Risiko eingeschätzt werden, später tatsächlich Rückerstattungen vornehmen zu müssen. 

Zum Hintergrund

Ausgangspunkt der Diskussion ist ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Oktober 2017 (Az. V R 46/16, BStBl. II 2018, 672, wir berichteten in der Ausgabe 50 vom März 2018), worin dieser die Abgabe von Faktorpräparaten dem Zweckbetrieb nach § 67 AO zuordnet. Dies hatte er bereits mit Urteil vom 31. Juli 2013 (Az. I R 82/12, BStBl II 2015, 123) für Zytostatika-Abgaben so entschieden.

Die Krankenkassen interpretieren die Entscheidung des BFH so, dass nunmehr alle Arzneimittelabgaben der Krankenhausapotheke in Trägerschaft eines gemeinnützigen Krankenhauses an dessen ambulante Patienten zum Zweckbetrieb nach § 67 AO gehören. Sie schlussfolgern, dass diese Umsätze zwangsläufig dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG unterliegen. 

Die Krankenhäuser haben diese Umsätze bislang in der Regel mit 19 Prozent, teilweise aber auch mit sieben Prozent oder gar nicht umsatzversteuert.

Die Kassen gehen hingegen pauschal davon aus, dass die Krankenhäuser die Arzneimittel mit dem vollen Steuersatz von 19 Prozent belegt haben, und fordern nun eine Erstattung der „zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer“ in Höhe der Differenz zwischen 19 und 7 Prozent auf das Entgelt.

Unsere Einschätzung

Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG?

Aus Sicht der Finanzverwaltung dürfte eine umsatzsteuerfreie Behandlung der Arzneimittelabgaben als mit der Krankenhausbehandlung eng verbundener Umsatz gemäß § 4 Nr. 14 UStG ausscheiden. Denkt man die Argumentation des BFH zu den Umsätzen mit Zytostatika weiter, ist eine höchstrichterliche Einordnung als eng verbundener Umsatz bei bestimmten ambulanten Arzneimittelabgaben aber unseres Erachtens nicht gänzlich auszuschließen. Für die Beurteilung kann hier unter Umständen auch die Art und Weise der Verordnung und Einnahme des Arzneimittels eine Rolle spielen. 

Richtiger Umsatzsteuersatz?

Lehnt man die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG ab, stellt sich die Frage nach dem richtigen Umsatzsteuersatz (19 Prozent oder sieben Prozent). 

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf sieben Prozent für Leistungen der Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar, gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen (§§ 51 bis 68 AO). Dies gilt nicht für Leistungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs ausgeführt werden (Satz 2).

Nach Satz 3 dieser Vorschrift gilt die Steuerermäßigung auf sieben Prozent selbst für Leistungen, die im Rahmen eines Zweckbetriebs ausgeführt werden, nur, wenn der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmen ausgeführt werden (1. Alternative) oder wenn die Körperschaft mit diesen Leistungen ihrer in den §§ 66 bis 68 der AO bezeichneten Zweckbetriebe ihre steuerbegünstigten satzungsgemäßen Zwecke selbst verwirklicht (2. Alternative). 

Zuordnung zum Zweckbetrieb

Nach dem Wortlaut der Norm hängt die Steuerbefreiung zunächst davon ab, ob die Abgabe der konkreten Fertigarzneimittel durch das gemeinnützigkeitsrechtlich anerkannte Krankenhaus überhaupt dem Zweckbetrieb oder dem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zuzuordnen ist. Bei Abgabe an Dritte oder an andere Krankenhäuser gehören die Umsätze wohl unstreitig zum steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, diese sind ohne weiteres mit 19 Prozent zu besteuern.

Nach Auffassung der Rechtsprechung und der Finanzverwaltung gehören zu dem Zweckbetrieb Krankenhaus auch die an ambulant behandelte Patienten erbrachten Leistungen, soweit diese Bestandteil des Versorgungsauftrags des Krankenhauses sind (AEAO zu § 67 AO).

Europarechtskonforme Auslegung

Gehören die Arzneimittelabgaben demnach zum Zweckbetrieb, bedeutet dies nicht automatisch die Anwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes. Der BFH hat die allgemeine Ermäßigungsregel des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 1 UStG für gemeinnützige Körperschaften wiederholt für unvereinbar mit dem Unionsrecht erklärt. Erst kürzlich hat der BFH entschieden, dass nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht pauschal alle Leistungen der gemeinnützigen Einrichtungen ermäßigt besteuert werden dürfen. Es muss sich vielmehr um originär gemeinnützige Leistungen handeln (vgl. BFH-Urteil vom 23. Juli 2019, Az. XI R 2/17). Die Krankenkassen können sich auf diese allgemeine Ermäßigungsregel also nicht stützen. Bei einem Krankenhauszweckbetrieb müssen für eine Steuerermäßigung ferner die besonderen Voraussetzungen der Regelungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG erfüllt sein. Unter Berücksichtigung des Unionsrechts sind die Ausnahmen von der Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 2 und 3 UStG dabei weit auszulegen.

Für jedes Krankenhaus ist zunächst zu prüfen, ob die ambulante Behandlung überhaupt für den Satzungszweck des Krankenhauses unerlässlich war (Alternative 2). Hier sind die Formulierungen der Gesellschaftsverträge oder Satzungen der Häuser zu untersuchen.

Schließlich stellt sich die Frage, ob ein unmittelbarer Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmen besteht (Alternative 1). Dieser ist hier aufgrund der Konkurrenz öffentlicher Apotheken, die mit ihren Umsätzen dem Steuersatz von 19 Prozent unterliegen, naheliegend. Die aktuelle Situation ist für die gemeinnützigen Krankenhäuser mit erheblichen Rechtsunsicherheiten verbunden.

Ausblick

Für den Moment bleibt abzuwarten, ob und in welchem Umfang weitere gesetzliche Kassen oder auch private Krankenkassen mit der Anforderung von Verjährungsverzichtserklärungen nachziehen. Die Bearbeitung der Verjährungsverzichtserklärungen stellt eine zusätzliche Arbeitsbelastung zum Jahresende dar, der aber eine gewisse Sorgfalt geschenkt werden sollte. Die Häuser müssen entscheiden, ob sie ohne größere Risiken die Verjährungsverzichtserklärungen unterzeichnen können oder im Einzelfall in Kauf nehmen, dass die Kassen Klage einreichen. Offen ist, ob die Kassen tatsächlich ihre Drohung wahr werden lassen und vor dem 31. Dezember 2019 Klagen einreichen (können), wenn die Verjährungsverzichte nicht unterzeichnet werden oder nicht frist- und formgerecht eingehen. 

Im neuen Jahr sollte dann unseres Erachtens schnellstmöglich eine einheitliche Auffassung zur steuerlichen Beurteilung der Umsätze gefunden werden. Klärung könnte eine Verlautbarung der Finanzverwaltung bieten, die für die verschiedenen in Betracht kommenden Sachverhalte ihre Praxis dokumentiert. PwC ist hierzu in vielen Fällen in Gesprächen mit der Finanzverwaltung, um eine sach- und interessengerechte Lösung herbeizuführen. Ziel ist hierbei, Verwerfungen wie jüngst bei den Zytostatikaverfahren zu vermeiden.

Krankenhausträger sollten auf jeden Fall vorbereitet sein und prüfen, wie sie vergleichbare Sachverhalte bislang ertrag- und umsatzsteuerlich behandelt haben und welche Risiken oder Chancen sich aus einer Behandlung mit dem ermäßigten Satz von sieben Prozent ergeben. Erst dann sollten Verhandlungen mit den Krankenkassen über eventuelle Rückerstattungen geführt werden.

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Matthias Fischer

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