Das bedeutet das EU-Digitalpaket für den Handel

19 April, 2021

Mit dem Jahressteuergesetz 2020 (JStG 2020) wurde die zweite Stufe des sogenannten Mehrwertsteuer-Digitalpakets der Europäischen Union in deutsches Recht übernommen. Durch die Neuregelungen ergeben sich umfangreiche Änderungen beim grenzüberschreitenden Versandhandel zwischen Unternehmen und Privatkunden.

Das Prinzip des Mini-One-Stop-Shop-Verfahrens wird zu einem sogenannten One-Stop-Shop erweitert. Was sich dadurch konkret für den Versandhandel ändert und warum betroffene Unternehmen möglichst zeitnah tätig werden sollten, erläutert Frank Gehring, Partner bei PwC Deutschland.

Das Wichtigste in 30 Sekunden

Lesen Sie im Folgenden,

  • welche Neuregelung es zum Leistungsort bei Fernverkäufen gibt,
  • wie das Jahressteuergesetz 2020 (JStG 2020) den bisherigen Mini-One-Stop-Shop in der Praxis zum One-Stop-Shop ausdehnt und
  • welche Besonderheiten in puncto Steuern bei Lieferungen über eine elektronische Schnittstelle gelten.

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Neue Regeln für den Versandhandel

Die Europäische Union kämpft seit Jahren gegen Betrug bei der Umsatzsteuer und Ausfälle beim Umsatzsteueraufkommen in Milliardenhöhe. Sie nimmt beispielsweise Umsatzsteuerkarussells in den Blick, insbesondere aber auch Onlinehändler aus Nicht-EU-Ländern, die ihre Waren an EU-Bürger verkaufen, ohne hierauf Umsatzsteuer abzuführen. Die mit der zweiten Stufe des Mehrwertsteuer-Digitalpakets eingeführten Verfahren sollen die Deklaration der Umsätze vereinfachen und mehr Unternehmen des Versandhandels umsatzsteuerlich erfassen.

Ursprünglich war geplant, die Neuregelung zur Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2021 einzuführen. Dies wurde aber aufgrund der Coronavirus-Pandemie auf den 1. Juli 2021 verschoben. Mit Hilfe der neuen Erklärungsverfahren des One-Stop-Shops (OSS) und des Import-One-Stop-Shops (IOSS) sollen insbesondere Hürden wie die verpflichtende Registrierung von Unternehmen des Versandhandels in einzelnen Zielmitgliedstaaten entfallen. Dabei bleibt das derzeit für den B2C-Versandhandel angewandte Bestimmungslandprinzip, nach dem Waren im Mitgliedstaat des Verbrauchs besteuert werden, bestehen.

Mit der Neuregelung ergeben sich für den Versandhandel zwischen Unternehmen und Privatkunden die folgenden wesentlichen Änderungen:

  • Die bestehenden individuellen Liefer- und Erwerbsschwellen im innergemeinschaftlichen Versandhandel weichen einer EU-weiten einheitlichen Wesentlichkeitsschwelle von 10.000 Euro. Wird die Schwelle überschritten, können diese Lieferungen zentral über das OSS-Verfahren in einem einzigen Mitgliedstaat an das zuständige Finanzamt übermittelt werden.
  • Die neuen Regelungen zum Versandhandel werden auf verbrauchssteuerfreie Warensendungen bis zu einem Wert von 150 Euro, die aus dem Drittland in die EU gelangen, ausgedehnt. Diese Lieferungen können nun über das sogenannte IOSS-Verfahren zentral in einem einzigen Mitgliedstaat dem Finanzamt mitgeteilt werden.
  • Eine weitere wesentliche Neuerung ist, dass elektronische Marktplätze für die Umsatzsteuer fiktiv in die Lieferkette eingebunden werden, sofern diese beim Verkauf zwischen Onlinehändler und dem Verbraucher „unterstützt“ haben.

Neuregelung zum Lieferort

Bislang unterlagen Versandhandelsumsätze grundsätzlich dort der USt, wo der Transport zum Kunden begann. Der Lieferort verschob sich in das Land des B2C-Kunden, sobald die Summe aller B2C-Lieferungen in ein Land einen bestimmten Betrag überschritten. Unternehmen des Versandhandels mussten daher je Land diese Lieferschwelle überwachen, um sich rechtzeitig umsatzsteuerlich erfassen zu lassen.

Nun unterliegen die sogenannten Fernverkäufe einheitlich der Umsatzsteuer im Zielland, also dort, wo der Transport an den Kunden endet. Dies gilt beim IOSS unabhängig davon, in welchem EU-Staat die Waren zollrechtlich abgefertigt werden. Hiervon gibt es lediglich eine Ausnahmeregel: Unternehmer mit nur geringfügigen grenzüberschreitenden Lieferungen – das ist die Summe aller jährlichen B2C-Lieferungen ins EU-Ausland bis zu 10.000 Euro – dürfen weiterhin die Umsatzsteuer des Landes abrechnen, in dem der Transport zum Kunden beginnt.

Vom Mini-One-Stop-Shop zum One-Stop-Shop

Mit der Neuregelung wird die bisherige „kleine einzige Anlaufstelle“ (Mini-One-Stop-Shop, MOSS), die für auf elektronischem Wege erbrachte B2C-Dienstleistungen gilt, um viele weitere B2C-Umsatzarten ergänzt und somit in einen OSS überführt. Das System des OSS-Verfahrens bietet Versandhändlern und elektronischen Marktplätzen die Möglichkeit, ihre in den verschiedenen Mitgliedstaaten getätigten B2C-Umsätze mittels einer zentralen Erklärung in ihrem Ansässigkeitsstaat zu melden.

Das Verfahren ist nicht auf EU-Händler und -Schnittstellen beschränkt. Auch Unternehmen des Versandhandels und elektronische Marktplätze, die in einem Drittland ansässig sind, können das Verfahren nutzen. In bestimmten Fällen müssen sie jedoch einen in der EU ansässigen Vertreter benennen. Die neuen OSS-Regelungen können die betroffenen Unternehmen freiwillig nutzen und dadurch in einem einzigen EU-Staat zentral die Umsatzsteuer verschiedener Mitgliedstaaten anmelden und zahlen – statt sich wie vorher in mehreren EU-Ländern registrieren zu müssen.

Die beiden Verfahren – OSS und IOSS – unterscheiden sich insbesondere bei dem Transportweg der Waren aus einem Lager zum Endkunden in der EU:

1. OSS
Der OSS steht für innergemeinschaftliche Fernverkäufe offen, d. h. die Ware wird von einem Ort in der EU zu einem B2C-Kunden in der EU transportiert. Neben den in Deutschland ansässigen Händlern und Betreibern elektronischer Schnittstellen im Internet können auch solche aus Drittländern das deutsche OSS-Meldeverfahren nutzen, sofern sie die Registrierung in Deutschland vornehmen.

2. IOSS
In diesem Meldeverfahren können verbrauchsteuerfreie Warenlieferungen mit einer Wertobergrenze von 150 Euro, die aus einem Drittland an in der EU ansässige Verbraucher versendet werden, erklärt werden. Das deutsche Meldeverfahren können sowohl Händler als auch Betreiber elektronischer Schnittstellen nutzen, wenn diese im Inland ansässig sind. Zudem können auch im Drittland ansässige Händler und Betreiber elektronischer Schnittstellen das Verfahren nutzen, sofern sie über einen im Inland ansässigen Vertreter verfügen. Nutzt ein Händler das IOSS-Verfahren, wird bei der Einfuhr der Liefergegenstände keine Einfuhrumsatzsteuer erhoben. Damit entfällt auch eine notwendige Dokumentation für den Vorsteuerabzug der Einfuhrumsatzsteuer, welche sonst im Vorsteuervergütungsverfahren hätte geltend gemacht werden müssen.

Was Versandhändler jetzt beachten müssen

Die Verfahren zu nutzen ist stets freiwillig, bringt jedoch enorme Erleichterungen mit sich, wenn Händler sie richtig anwenden. Händler und Betreiber elektronischer Schnittstellen sollten sich damit befassen, welche Art von Umsätzen sie erbringen und welche Verfahren sie hierfür benötigen.

Obwohl die Vorschriften erst für Lieferungen ab dem 1. Juli 2021 gelten, sind sie bereits zum 1. April 2021 in Kraft getreten. Wie das Bundeszentralamt für Steuern mitteilt, sind seit diesem Datum bereits Anträge auf Registrierungen zum OSS und IOSS möglich, und zwar mit dem „BZStOnline-Portal“. Gegebenenfalls müssen Händler dort vor der Registrierung ein Zertifikat beantragen. Die erteilten Registrierungsnummern sind in den Zollanmeldungen anzugeben.

Zu beachten ist, dass EU-Unternehmer die Verfahren jeweils nur im Mitgliedstaat, in dem sie ansässig sind, nutzen können. Dies gilt nicht für Drittlandsunternehmer, für die hier ein gewisses Gestaltungspotenzial bestehen könnte. Hier kommt es, sofern erforderlich, auf den Ansässigkeitsstaat des in der EU ansässigen Vertreters an.

Beim IOSS ergeben sich für die Praxis gleich zwei Einschränkungen, die eine sorgfältige Planung der Logistik erfordern: Einerseits ist die Sachwertgrenze von 150 Euro eine Hürde. Denn werden auch Waren von höherem Wert verkauft, müssen gegebenenfalls zwei unterschiedliche Verfahren gewählt werden, um die umsatzsteuerlichen Pflichten in der EU zu erfüllen. Für Händler, die ohnehin über EU-Warenlager verfügen, wäre es möglicherweise attraktiver, die Waren in größeren Mengen über das Warenlager einzuführen und einheitlich das OSS-Verfahren zu nutzen. Andererseits sollten Lieferanten, die außerhalb der EU ansässig sind, beachten, dass sie nicht ohne Weiteres als Zollanmelder in der EU auftreten dürfen, sondern eventuell die Zollabwicklung über die sogenannte Indirekte Stellvertretung und einen EU-ansässigen Unternehmer abwickeln müssen.

Lieferungen über eine elektronische Schnittstelle

Händler verkaufen ihre Waren oft nicht nur über ihre eigenen Webseiten, sondern auch oder ausschließlich im E-Commerce, also über digitale Marktplätze im Internet. Oft handelt es sich bei den Lieferanten um Unternehmer aus einem Drittland, die mit Fulfillment-Setups ihre Ware über inländische oder in der EU gelegene Warenlager der Marktplatzbetreiber oder Logistikdienstleister versenden. Um bei der Mehrwertsteuer das Aufkommen zu sichern, hatte Deutschland bereits im Jahr 2019 die Haftung der Marktplatzbetreiber eingeführt.

Mit den Neuregelungen wird der Begriff des elektronischen Marktplatzes durch den neuen, wesentlich umfassenderen Begriff der sogenannten elektronischen Schnittstelle ersetzt. Dazu zählen nach der neuen Definition die meisten Angebote des E-Commerce, also elektronische Marktplätze, elektronische Plattformen, elektronische Portale oder ähnliche Möglichkeiten des Online-Handels.

Unterstützt der Schnittstellenbetreiber den Lieferanten in seiner Lieferung an Verbraucher, wird er bei der Umsatzsteuer so behandelt, als hätte er den Gegenstand selbst erhalten und geliefert. „Unterstützen“ bedeutet in diesem Zusammenhang bereits, Waren (online) zum Verkauf anzubieten sowie die Möglichkeit, zu potenziellen Kunden in Kontakt zu treten, woraus eine Lieferung von Gegenständen an diese Kunden resultiert.

Damit wird der Schnittstellenbetreiber selbst zum Steuerschuldner für die Mehrwertsteuer an den Endkunden. Da auch hier die Ortsregelungen zum Fernverkauf Anwendung finden, unterliegt die Lieferung an den Endkunden im Bestimmungsmitgliedstaat der Umsatzsteuer. Dem vorgelagert ist eine weitere fiktive Lieferung des Lieferanten an den Betreiber der elektronischen Schnittstelle. Diese ist jedoch von der Steuer befreit. Die Neuregelung betrifft allerdings nicht alle Lieferungen, die von einer digitalen Schnittstelle unterstützt werden, also über den Online-Handel erfolgen, sondern nur folgende Fälle:

  1. Fernverkäufe (auch lokal innerhalb eines EU-Staates), wenn der Marktplatzverkäufer nicht in der EU ansässig ist.
  2. Lieferungen, für die der IOSS Anwendung findet – unabhängig davon, wo der Onlineshop beziehungsweise Marktplatzverkäufer ansässig ist.

Was Versandhändler und Betreiber von elektronischen Schnittstellen jetzt beachten müssen

Die Definition elektronischer Schnittstellen ist sehr weit gefasst, sodass die Regelung annähernd jedes Verkaufsportal im Internet betreffen dürfte. Hier ist nicht nur an die gängigen Online-Shops und -Marktplätze zu denken; vielmehr können auch viele Betreiber kleinerer Webseiten und Applikationen unter die Neuregelungen fallen. Sie sollten sich rechtzeitig für die entsprechenden Verfahren registrieren.

Die Neuerung dürfte für Betreiber elektronischer Schnittstellen zu weitreichenden Konsequenzen führen. Sie müssen sich umfangreich vorbereiten, insbesondere ihr Fakturierungssystem: Die Rechnungen müssen gegebenenfalls mehrsprachig sein und das System muss die Steuersätze aller Bestimmungsstaaten verarbeiten können. Darüber hinaus sollten sie sich zeitnah um eine Datenschnittstelle zu den Händlern bemühen, denn sie benötigen einige Informationen für ihr eigenes Abrechnungssystem, um korrekte Rechnungen an die Endkunden auszustellen und den richtigen Umsatzsteuerbetrag zu errechnen: Status des Kunden (Unternehmer oder Endverbraucher) und Bestimmungsort der Lieferung, Preis und Menge der gelieferten Ware, Produktbeschreibung sowie anwendbarer Steuersatz.

Fazit

Rechtzeitig informieren, um Problemen zuvorzukommen

Die neuen Regelungen sind recht umfangreich und komplex und noch sind nicht alle praktischen Probleme, die sich hieraus ergeben können, absehbar. Sowohl Händlern als auch Schnittstellenbetreibern sei geraten, sich spätestens jetzt mit der Thematik auseinander zu setzen, um die entsprechenden (IT-)Infrastrukturen zu schaffen, um die Neuregelung umzusetzen und notwendige Registrierungen anzugehen, zu denen sie seit dem 1. April 2021 möglicherweise verpflichtet sind.

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Frank Gehring

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