Einstufiges Enforcement-Verfahren durch die BaFin

02 Juli, 2021

Mit dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) schafft der Gesetzgeber das zweistufige Enforcement-System in Deutschland ab. Verantwortlich für das nunmehr rein staatliche deutsche Enforcement ist fortan allein die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR), die seit dem Jahr 2005 als erste Stufe des Enforcements in Deutschland fungierte, wird zum 31. Dezember 2021 ihre Arbeit zu Gunsten eines einstufigen Verfahrens einstellen. 

Alle zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen DPR-Prüfungen setzt die BaFin gemäß den neuen Vorschriften des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) fort. Lesen Sie im Folgenden, was sich bei den Regelungen zur Bilanzkontrolle ändert, welche Instrumente der BaFin zur Verfügung stehen und wie Unternehmen sich auf die Neuerungen einstellen sollten.  

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Dr. Bernd Kliem
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Das FISG soll das Bilanzkontrollsystem vereinfachen

Das bislang zweistufige Enforcement-Verfahren wird abgeschafft, damit das Bilanzkontrollsystem weniger komplex wird. Dies will der Gesetzgeber erreichen, indem er Schnittstellen reduziert. Um den Sachverstand der DPR zu erhalten und um im Jahr 2021 und auch danach ordnungsgemäße Prüfungen zu gewährleisten, wurden für die Prüfer:innen und übrigen Mitarbeiter:innen der DPR Übergangsregelungen geschaffen, damit sie in die BaFin überführt werden können.

„Das Arsenal an Instrumenten, die die BaFin mit dem FISG erhält, ist beachtlich. Damit kann sie umfassend, schnell und wenn nötig auch rigoros eingreifen. Das schürt Erwartungen, und es ist sicherlich eine Herausforderung, die Instrumente jeweils angemessen einzusetzen – ohne zu riskieren, zu spät oder zu vorsichtig zu handeln.“

Dr. Bernd Kliem, Partner bei PwC Deutschland

Betroffene Unternehmen, Prüfungsgegenstand und -ziel

Grundsätzlich bleibt der Anwendungsbereich der Bilanzkontrolle unverändert: Sie ist auf kapitalmarktorientierte Unternehmen mit Herkunftsstaat Deutschland ausgerichtet. Der Kreis der Unternehmen, die das BaFin-Enforcement betrifft, ändert sich also nicht. 

Auch die Zielsetzung des Enforcements bleibt gleich: Es prüft, ob die Abschlüsse und Berichte den gesetzlichen Vorschriften einschließlich der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung sowie den sonstigen durch Gesetz zugelassenen Rechnungslegungsstandards entsprechen. Prüfungsgegenstand sind weiterhin die festgestellten bzw. gebilligten Jahres- und Konzernabschlüsse und verkürzte Zwischenabschlüsse, jeweils nebst zugehörigen Lageberichten sowie ggf. Zahlungs- und Konzernzahlungsberichten einschließlich der zugrunde liegenden Buchführung.

Ebenfalls unverändert Prüfungsgegenstand sind die nach dem European Single Electronic Format (ESEF) offengelegten Einzel- und Konzernabschlüsse nebst zugehörigen Lageberichten. Für die verkürzten Abschlüsse und die (Konzern-)Zahlungsberichte gilt das Stichprobenverfahren auch weiterhin nicht. 

Erweitert wird allerdings der Zeitraum, für den Anlassprüfungen möglich sind: Sie können gemäß FISG nun nicht nur für das Vorjahr, sondern auch für die zwei dem aktuellen Jahr vorausgehenden Abschlüsse bzw. Berichte vorgenommen werden.

Webcast „Neue Bilanzkontrolle in Deutschland – was kommt auf Sie zu?“

Was bedeutet das einstufige Enforcement-Verfahren für die betroffenen Unternehmen? Wie unterscheidet sich eine BaFin- von einer DPR-Prüfung? Und wie müssen sich Unternehmen schon jetzt auf ein behördliches Bilanzkontrollverfahren vorbereiten? Mehr dazu erfahren Sie im Webcast.

Aufzeichnung Präsentation

Verfahrenstypen, Prüfungsanordnung & -bekanntmachung

Aufgrund der Einstufigkeit sind die bisherigen Verlangensprüfungen nicht mehr notwendig; die Verfahrenstypen werden auf die Stichproben- und die Anlassprüfung reduziert. Anlassprüfungen ordnet die BaFin auch künftig an, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften vorliegen. 

Bei der Stichprobenprüfung erfolgte die Auswahl bisher durch die DPR dreistufig nach mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) abgestimmten Grundsätzen, im Einklang mit der Leitlinie 5 der ESMA-Leitlinien zum Enforcement. Vergleichbare Grundsätze sind auch für die Stichprobenziehung durch die BaFin zu erwarten. Bislang wurden etwa 90 Prüfungen pro Jahr durchgeführt; es ist zu erwarten, dass die Anzahl der Prüfungen gleich bleibt oder ggf. steigt. Anlassprüfungen hingegen dürften künftig deutlich häufiger vorkommen.

Die Prüfungsanordnung der BaFin stellt einen Verwaltungsakt da. Gegen diesen sind grundsätzlich die verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe möglich. Betroffene Unternehmen müssen der Mitwirkung nicht mehr wie bei der privatrechtlichen Prüfung durch die DPR zustimmen.

Auch war die durch die DPR eingeleitete Prüfung bisher nicht öffentlich bekannt. Dies kann sich künftig ändern. Denn die BaFin kann nun das von einer Prüfung betroffene Unternehmen und den Grund für die Anordnung einer Prüfung im Bundesanzeiger und auf ihrer Internetseite bekannt machen, wenn ein öffentliches Interesse daran besteht. 

Durchführung der Prüfung

Der Gesetzgeber hat das Instrumentarium der BaFin zur Durchführung von Prüfungen deutlich erweitert – vor allem für Anlassprüfungen und Stichprobenprüfungen, bei denen sie Anhaltspunkte für Verstöße feststellt. Neben erweiterten Auskunfts- und Vorlagerechten hat die BaFin auch ein Vorlade- und Vernehmungsrecht gegenüber Organmitgliedern, Beschäftigten und den Abschlussprüfer:innen. Diese Rechte stehen der BaFin künftig auch gegenüber jedem Dritten zu, z. B. um die Echtheit von Dokumenten bei Geschäftspartner:innen zu überprüfen. Bei Verdacht auf erhebliche Verstöße gegen Rechnungslegungsvorschriften drohen sogar Durchsuchungen und Beschlagnahmungen.

Für die Stichprobenprüfung ohne Anhaltspunkte für Verstöße existieren noch keine detaillierten Ankündigungen seitens der BaFin hinsichtlich der grundsätzlichen Prüfungsdurchführung. Die mögliche Delegation der Prüfung an Dritte wird voraussichtlich nur bedarfsweise erfolgen. Die Anforderungen an den Nachweis einer ordnungsgemäßen (Konzern-)Buchführung könnten steigen. Möglicherweise müssen beispielsweise bereits zu Beginn einer Prüfung alle Buchführungsunterlagen zu einem Sachverhalt beigebracht werden. Zu erwarten ist auch, dass die BaFin kürzere Verfahrensdauern anstrebt.

Änderungen im Rahmen der Fehlerfeststellung

Zum Abschluss der Prüfung wird den Unternehmen unverändert mitgeteilt, ob Fehler in der Rechnungslegung festgestellt wurden oder ob es keine Beanstandungen gab. Kommt es zu einer Fehlerfeststellung, kann die BaFin nunmehr auch feststellen und damit vorgeben, wie die Rechnungslegung ohne den Fehler darzustellen wäre. 

Beides wird künftig von der BaFin selbst auf ihrer Internetseite, dem Bundesanzeiger und einem überregionalen Börsenpflichtblatt bekannt gegeben; dabei werden das betroffene Unternehmen sowie wesentliche Teile der Fehlerbegründung genannt. Neben dem Prüfungsergebnis kann die BaFin die Unternehmen künftig anweisen, die Fehler nach den materiellen Rechtsvorschriften im nächsten Abschluss zu korrigieren oder – im Ausnahmefall – sogar die fehlerhaften Abschlüsse nachträglich zu ändern. 

Da die Bekanntmachung ohne weiteren Bescheid künftig direkt durch die BaFin erfolgt, müssen die Unternehmen Rechtsmittel gegen die Fehlerfeststellung selbst einlegen. Ein Widerspruch führt allerdings noch nicht zum Aufschub der Fehlerbekanntmachung. Sollte einstweiliger Rechtsschutz gegen eine Fehlerfeststellung im Beschwerdeverfahren gewährt werden, steht dieser zugleich auch einer Bekanntmachung entgegen.

Neu ist, dass für einen vorsätzlich unrichtig abgegeben Bilanzeid gegen den Vorstand eine verschärfte Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren verhängt werden kann. Handelt der Vorstand leichtfertig, kann ihm nunmehr eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren drohen.

Präventive Funktion des Enforcements

Ein wesentlicher Aspekt des Enforcements ist seine präventive Wirkung. Die DPR hat zu diesem Zweck eine Reihe von Instrumenten und Maßnahmen entwickelt, die dazu dienten, die ESMA-Leitlinien zur Überwachung von Finanzinformationen (nationale Prüfungsschwerpunkte, Hinweise, fallbezogene Voranfrage) umzusetzen. Da die BaFin grundsätzlich erklärt hat, diese Leitlinien einzuhalten, ist davon auszugehen, dass sie viele dieser Instrumente und Maßnahmen fortführen wird.

Auswirkungen auf Unternehmen

Die Durchführung von Stichproben- und Anlassprüfungen geht zwar formal „nur” auf eine andere Institution über. Dennoch sollten Unternehmen das nunmehr einstufige Enforcement-Verfahren nicht unterschätzen: Die BaFin verfügt über ein erheblich erweitertes Instrumentarium mit Vorlage-, Vorlade-, Vernehmungs- sowie Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsrechten bei den Unternehmen und bei Dritten. 

Die Durchführung von Anlassprüfungen kann sich dadurch erheblich verändern, vor allem beim Verdacht auf einen Betrugsfall. Aber auch für die übrigen Anlass- und Stichprobenprüfungen, in deren Verlauf sich Anhaltspunkte für einen Verstoß ergeben bzw. erhärten, stehen diese erweiterten Instrumente grundsätzlich zur Verfügung. Unternehmen sollten sich daher organisatorisch auf den Fall vorbereiten, dass die BaFin solche Maßnahmen einleitet, und prüfen, wie sie ggf. juristisch ihre Rechte wahren und zugleich den Informationsforderungen so nachkommen können, dass sie eine weitere Eskalation möglichst verhindern.

Auch bei unkritischen Stichprobenprüfungen sollten sich Unternehmen auf Veränderungen einstellen. So zeigen bisherige Erfahrungen mit Verfahren der BaFin auf der zweiten Stufe, dass diese zwangsläufig formalisierter sein werden. Zudem kann sich der zeitliche Druck bei Verfahren erhöhen, weil die BaFin bestrebt sein wird, die Verfahren schneller zu bearbeiten und abzuschließen. Unternehmen sollten daher analysieren, wie gut ihre „preparation quality“ des Aufstellungsprozesses ist und ggf. gezielt Verbesserungen einleiten.

„Unternehmen sollten das einstufige Enforcement-Verfahren nicht unterschätzen. Eine fundierte, zentrale Dokumentation konzernweiter Sachverhalte gewinnt weiter an Bedeutung. Auch sollten sie die Verfahrensänderung zum Anlass nehmen, die Strukturen ihrer Accounting-Compliance nochmals zu hinterfragen.“

Robert Linder, Director bei PwC Deutschland
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