08 Dezember, 2022
Vom 16. bis zum 22. Oktober kam die Spitze der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in Beijing zusammen.
Rund 2.300 der mächtigsten Parteifunktionäre, alle in mehr oder weniger identischen Anzügen gekleidet, trafen sich auf dem 20. Parteitag.
Die alle fünf Jahr stattfindenden Parteitage sind das bedeutendste Ereignis im politischen Kalender Chinas. Doch dabei geht es nicht um konkrete Politik, sondern vor allem um die Besetzung der wichtigsten Parteigremien – des Zentralkomitees mit seinen fast 400 Mitgliedern, des Politbüros, das jetzt nur noch 24 statt 25 Mitglieder hat, und des siebenköpfigen Ständigen Ausschusses – sowie der Spitzenpositionen, speziell die des Generalsekretärs und seines Stellvertreters. Darüber gab es auch dieses Jahr wieder keine öffentliche Diskussion, keinen Wettbewerb und kein öffentliches Spektakel.
Gewählt wurden die Kandidaten für die allerhöchsten Posten auf dem Parteitag von den Mitgliedern des Zentralkomitees. Tatsächlich aber hatten die Parteieliten bereits im Vorfeld und parteiintern um Einfluss gerungen und ihre bevorzugten Kandidaten in Stellung gebracht. Zu Beginn des Parteitags dürfte die Aufstellung der Spitzenführung bereits beschlossene Sache gewesen sein. Auch der 20. Parteitag war also nichts anderes als der öffentliche Höhepunkt eines monatelangen Tauziehens und zahlreicher Absprachen. Die Ergebnisse des Parteitags reflektieren das interne Machtgleichgewicht. Eines war schon vorher klar: Die Personen, die es in das Politbüro schaffen, werden eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der politischen Agenda in den nächsten fünf Jahren und darüber hinaus spielen.
Der Kongress war eine eindrucksvolle Demonstration des Primats der Partei über den Staat und der Dominanz von Xi Jinping. Xis Macht beruht auf seiner Rolle als Generalsekretär der Partei, nicht auf der des Staatspräsidenten. Das Amt des Präsidenten war seit seiner Wiedereinführung 1982 vorwiegend zeremonieller Art und kaum mit konkreter Autorität verbunden, die eher beim Premierminister lag. Erst nach dem Tian’anmen-Massaker 1989 und dem Zerwürfnis innerhalb der Führung wurden die Funktionen Generalsekretär und Präsident in einer Person vereint. Auch der neu gewählte beziehungsweise im Amt bestätigte Staatspräsident und der Premierminister werden wieder in Personalunion zugleich der Parteivorsitzende und sein Stellvertreter sein. Beide wurden auf dem Parteitag ernannt.
Wie vielfach vermutet wurde Xi Jinping in den wichtigsten Positionen als KPCh-Generalsekretär und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission (CMC) bestätigt. Das erste Mal seit 40 Jahren wird es somit eine dritte Amtszeit für den Generalsekretär geben. Dass es dazu gekommen ist, ist das Ergebnis einer jahrzehntelang systematisch betriebenen Personalisierung und Zentralisierung seiner Macht.
Aber die Spannung war hoch bezüglich der Positionen unter ihm. Der 20. Parteitag bot Xi Jinping die Gelegenheit, das Zentralkomitee, das Politbüro und den Ständigen Ausschuss komplett umzugestalten und seine engsten Verbündeten zu befördern. Das hat Xi konsequent genutzt. In allen Gremien dominieren jetzt seine Vertrauten.
Eine große Überraschung war, dass Wang Yang, beliebter und angesehener Vizepremier und Mitglied des Ständigen Ausschusses, in den Ruhestand geschickt wurde. Wang Yang hat auf verschiedenen lokalen und ministeriellen Posten sein Talent und seine Kompetenz unter Beweis gestellt. Er gilt als wirtschaftsfreundlich und liberal.
Stattdessen wurde Li Qiang, der langjährige Vertraute von Xi Jinping, in den Ständigen Ausschuss aufgenommen. Er ist zugleich der designierte Nachfolger von Li Keqiang im Amt des Premierministers. Zuletzt war er Parteisekretär von Shanghai und als solcher verantwortlich für den umstrittenen fast dreimonatigen Lockdown. Lis Aufstieg zeigt allen: Loyalität ist der Schlüssel für eine Karriere unter Xi, nicht Popularität. Erstmals wird damit ein Parteipolitiker zum Ministerpräsidenten gekürt, der lediglich über Erfahrung auf Provinz- oder Kreisebene verfügt. Ohne eigene etablierte Basis in der Zentralregierung wird sich Li auf Xis Autorität stützen müssen, um den Staatsrat zu führen.
Ebenso wichtig für die Zukunft der Partei ist die Frage der institutionellen Parteinormen. Um nach der Ära Mao Zedong das Phänomen des Personenkults und der übermäßigen Machtkonzentration in den Händen eines einzigen starken Mannes zu verhindern, kam es unter Deng Xiaopings Führung zu einer Reihe weitreichender institutioneller Reformen. Eine wichtige Maßnahme war die Etablierung eines Konzepts der kollektiven Führung, bei dem die Macht weitgehend unter den Mitgliedern des Ständigen Ausschusses des Politbüros aufgeteilt wurde. Der Generalsekretär sollte lediglich Primus inter Pares sein. Allerdings hat Xi Jinping seit seiner Machtübernahme Ende 2012 alle Entscheidungsbefugnisse in seinen Händen konzentriert. Nichtsdestotrotz waren die Überreste zweier mächtiger Parteiblöcke – der Fraktion der Kommunistischen Jugendliga unter Führung von Ministerpräsident Li Keqiang und der Shanghai-Fraktion unter der Führung des ehemaligen Präsidenten Jiang Zemin – als Minderheit im Politbüro und im Ständigen Ausschuss bislang vertreten. Der Einfluss dieser Blöcke ist jetzt erheblich geschwächt worden.
Der 20. Parteitag hat den Einfluss Xi Jinpings und seiner Fraktion in allen Bereichen gestärkt: ideologisch und personell, aber auch in Bezug auf die Finanzen und die Außenpolitik. Die Partei ist also zumindest teilweise in die Mao-Zedong-Ära der Kulturrevolution zurückgekehrt, als der „Große Steuermann“ mit nahezu uneingeschränkter Autorität regierte.
Rätsel gibt das Hinausgeleiten des sich scheinbar dagegen sträubenden Expräsidenten Hu Jinatao während der Abschlusssitzung des Parteitags auf. Es bleibt unklar, ob gesundheitliche Probleme des gebrechlichen 79-Jährigen die Ursache waren, wie chinesische Medien danach berichteten – Hu wurde auch zuvor hineinbegleitet – oder ob die Aktion eine Warnung an alle sein soll, die sich Xis Kurs zu widersetzen trauen.
Das Problem gibt es bereits seit Längerem, aber die COVID-Restriktionen haben die Anstrengungen der Unternehmen, ausländische Fachkräfte für China zu gewinnen und vor Ort einzusetzen, zusätzlich ausgebremst. Dieses Problem verringert die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und wird von den meisten Umfragen aufgegriffen. Es gewinnt mit den nun bereits länger andauernden Reiseeinschränkungen auch weiter an Bedeutung.
Julia Haes ist Geschäftsführerin des China-Instituts für die deutsche Wirtschaft (CIDW) in München und CEO von Finiens. Beide Unternehmen beraten chinesische und deutsche Firmen. Ihr wöchentlicher Newsletter „Chinapolitan“ informiert in kompakter Form aus und über China. Im Podcast „China ungeschminkt“ spricht sie mit Klaus Mühlhahn und Anja Blanke über Themen rund um China.
Klaus Mühlhahn ist Professor für Sinologie und Präsident der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. Zuvor war er Vizepräsident der Freien Universität Berlin. Mühlhahn gilt als führender China-Experte. 2009 wurde er mit dem John-King-Fairbank-Preis der American Historical Association ausgezeichnet. Im vergangenen Jahr erschien Mühlhahns Buch „Geschichte des modernen China. Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart“ in der „Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung“.