Korridorbudgetierung: Wieso es sinnvoll ist, in Bandbreiten zu planen

02 September, 2019

Ein Interview mit Christina Stecker und Björn Bürger. Werden wir im kommenden Jahr um drei Prozent wachsen oder um fünf? Sollten wir das Budget für ein Projekt um 20 Prozent erhöhen oder um 40? Bei der Unternehmens- und Budgetplanung bestehen immer Unsicherheiten.

Wieso es sinnvoll ist, diese Unsicherheiten bewusst zu berücksichtigen, erklären Christina Stecker und Björn Bürger, PwC-Experten für Unternehmensplanung und Risikomanagement. Im Interview sprechen sie über das Prinzip der Korridorbudgetierung und wieso Entscheidungsträger lernen müssen, mit Unsicherheiten planerisch umzugehen und Chancen strukturiert zu managen.

Woher kommt der Grundgedanke der von PwC entwickelten Budgetierung in Bandbreiten?

Stecker: Wir Menschen erliegen nicht der Illusion, die Zukunft lasse sich in einem einzigen Wert zum Ausdruck bringen. Es mag uns nicht immer bewusst sein, aber wir denken und planen unsere Zukunft intuitiv in Bandbreiten. Dadurch akzeptieren wir Unsicherheit.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Stecker: Davon gibt es unzählige. Unsere nächste Gehaltserhöhung soll beispielswese zwischen fünf und zehn Prozent liegen, die neu erworbene Immobilie eine jährliche Rendite von drei bis vier Prozent erzielen oder das Budget für den nächsten Urlaub maximal anderthalb Nettomonatsgehälter betragen.

Bürger: Aber nicht nur im privaten Umfeld sind wir mit der Planung und Budgetierung in Bandbreiten längst vertraut. Ein gutes Beispiel ist die Wettervorhersage der ARD, die in Form des 15-Tage-Trends veröffentlicht wird. Hier prognostizieren die Wetterexperten nicht nur einem bestimmten Wert für die zukünftigen Temperaturen, sondern auch eine Bandbreite, in der sich die Temperaturen bewegen können. Dieser Korridor ist umso breiter gefasst, je weiter ein bestimmter Tag in der Zukunft liegt. Umgekehrt können Erwartungen umso genauer formuliert und Bandbreiten um diese Erwartungen umso enger gefasst werden, je näher ein Ereignis rückt. Die anfängliche Unsicherheit schwindet also mit dem Fortschreiten der Zeit.

Sie plädieren dafür, dieses Prinzip auf die unternehmerische Planung zu übertragen. Wieso?

Bürger: Viele Unternehmen ignorieren die Unsicherheiten in ihrer Planung. Sie stellen Planwerte, Planungsannahmen und Prämissen oftmals kategorisch als eindimensionale Werte dar. Nach dem Prinzip: Für nächstes Jahr rechnen wir mit einem Umsatzwachstum von 3,5 Prozent. Mit diesem Ansatz finden die Unsicherheiten aber keine Berücksichtigung. Hier müssen Unternehmen umdenken. Sie sollten die Unsicherheiten, die es zwangsläufig gibt, nutzen anstatt diese zu ignorieren.

Inwiefern tun deutsche Unternehmen dies schon?

Stecker: In unserer Studie „Risk-Management-Benchmarking 2015“ haben wir herausgefunden, dass zwar fast neun von zehn deutschen Unternehmen Risiken und Chancen als Abweichung vom Planwert definieren. Aber die große Mehrheit nutzt die Informationen aus dem Risikomanagement noch nicht bei der Unternehmensplanung. Moderne und zukunftsorientierte Methoden integrieren dagegen die Unternehmensplanung mit dem Risikomanagement. Mit dieser Verzahnung wird die Zukunft folglich nicht mehr als fixer Wert prognostiziert, sondern anhand von Bandbreiten.

Welche Vorteile bringt das?

Bürger: Erfahrungsgemäß weichen die Ist-Werte oft von den zuvor bestimmten Planwerten ab. Es besteht also zum einen die Chance, dass die tatsächlichen Werte im positiven Sinn von den Planwerten abweichen. Andererseits sehen wir das Risiko, dass die Werte nach unten ausschlagen. Der Ansatz der Korridorbudgetierung® berücksichtigt diese Schwankungen. Denn mit diesem Instrument bestimmen Unternehmen nicht nur einen einzelnen Planwert, sondern sie definieren auch die vorstellbaren Abweichungen – und zwar nach oben wie nach unten. Die maximal und minimal möglichen Werte bilden also den Korridor, der dem Konzept seinen Namen gibt.

Und wie lassen sich mit dieser Methode möglichst genaue Prognosen erstellen?

Stecker: Um möglichst präzise Vorhersagen erstellen zu können, ermitteln Unternehmen die Erwartungen über die zukünftigen Entwicklungen verschiedener Planungspositionen und deren realistische Abweichungen in beide Richtungen. Um dieses Ziel schnell zu erreichen, kommen vermehrt digitale Lösungen zum Einsatz, etwa aus dem Bereich Predictive Analytics in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen. Die einzelnen Korridore werden anschließend, unter Berücksichtigung wechselseitiger Abhängigkeiten mithilfe einer speziellen Software in kürzester Zeit zu einem Abbild aller möglichen Szenarien verdichtet.

Bürger: Bei der grafischen Darstellung einer Korridorbudgetierung® ergibt sich dadurch ein ähnliches Bild wie bei der bereits erwähnten Wettervorhersage: Es zeigt die Erwartungen als Linie, die innerhalb eines Korridors verläuft, wobei sich die Grenzen immer weiter auseinander bewegen, je ferner der betrachtete Zeitpunkt in der Zukunft liegt.

Inwiefern profitiert das Management von dieser Herangehensweise?

Bürger: Der Unternehmensleitung steht damit zum ersten Mal nicht nur ein unsicherer Planwert zur Verfügung, sondern auch eine strategische Information darüber, in welcher Bandbreite und mit welcher Wahrscheinlichkeit Abweichungen auftreten können. 

Stecker: Ein weiterer wichtiger Aspekt der Korridorbudgetierung® ist der durchgehende Abgleich der Ist-Werte mit den zuvor prognostizierten Korridoren. Durch die konsequente Einarbeitung neuer Informationen berücksichtigen Unternehmen nicht nur die Unsicherheit, sondern verbessern auch ihre Planungssicherheit. Sollte ein Ist-Wert zum Beispiel außerhalb einer zuvor festgelegten Korridorgrenze liegen, wird die zu Grunde liegende Fehlinformation ermittelt und für zukünftige Planungen entsprechend angepasst.

Was bedeutet das für die Beurteilung der Gesamtrisikosituation?

Bürger: Durch die operative Berücksichtigung der Unsicherheit in der Planung können Firmen erstmals die komplette Risikosituation des gesamten Unternehmens oder von Geschäftsbereichen fundiert quantifizieren. Damit erhalten sie Antworten auf Fragen wie: Wie hoch ist das Risiko, das ich bereits eingegangen bin? Welche Risiken kann ich mir eigentlich erlauben? Wie viel Spielraum habe ich noch, bis mein Rating oder ein Bankkredit gefährdet ist? Erwirtschaftet der Geschäftsbereich X in Anbetracht der Chancen und Risiken eine adäquate Rendite?

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Korridorbudgetierung® funktioniert?

Stecker: Damit dieser Prozess funktioniert, müssen alle involvierten Personen komplett umdenken: weg von der Prognose von Einzelwerten, hin zu einer Vorhersage im Rahmen von Korridoren. Um optimale Entscheidungen treffen zu können, müssen die Verantwortlichen lernen, mit Unsicherheit planerisch umzugehen. Alles andere ist Zufall.

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Dr. Robert Paffen

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