30 Mai, 2022
Von Dr. Oliver Busch. Mit Urteil vom 13. Dezember 2021 (7 K 2379/20) hat das Finanzgericht (FG) München erkenntlich erstmals in der Republik zur Bestimmung des Dotationskapitals einer inländischen Versicherungsbetriebsstätte eines ausländischen Versicherungsunternehmens unter der neuen Rechtslage (§ 25 Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV)) entschieden. Dieses Urteil ist insbesondere für EU-Sachversicherungsunternehmen mit einer inländischen Versicherungsbetriebsstätte von hoher Bedeutung.
Das Urteil betrifft die Frage, wann die Mindestkapitalausstattungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV Anwendung findet.
Ausweislich der Urteilsbegründung hatte die Klägerin zur Bestimmung des Dotationskapitals ihrer inländischen Versicherungsbetriebsstätte für das Streitjahr 2015, dem ersten Anwendungsjahr der BsGaV, die sogenannte modifizierte Kapitalaufteilungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten i. S. d. § 25 Abs. 1 und Abs. 2 BsGaV angewandt. Dabei ergab sich in der Hilfs- und Nebenrechnung (§ 3 BsGaV) ein negatives Dotationskapital nach HGB-Werten, das – wie die Literatur schon frühzeitig aufgezeigt hat (vgl. Busch, IStR 2014, 757) – z. B. durch den Ansatz der Schwankungsrückstellung (§ 29 Versicherungsunternehmens-Rechnungslegungsverordnung (RechVersV)) entstehen kann, die andere Rechnungslegungsstandards (z. B. IFRS) nicht kennen. Die Klägerin folgte in der Steuererklärung jedoch nicht der in Rn. 320 Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa) niedergelegten Verwaltungsauffassung, wonach die Mindestkapitalausstattungsmethode (§ 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV) immer anzuwenden sei. Stattdessen sah es die Klägerin als steuerlich gerechtfertigt an, ein negatives Dotationskapital nach handelsrechtlichen Werten zu deklarieren, da dieses so aus der Kapitalaufteilungsmethode resultiere und die Mindestkapitalausstattungsmethode nach Ansicht der Klägerin nur bei Inanspruchnahme der Öffnungsklausel i. S. d. § 25 Abs. 3 Satz 1 BsGaV zur Anwendung komme.
Das Finanzamt sah sich in der Betriebsprüfung für das Streitjahr an die Verwaltungsauffassung gebunden und korrigierte das Einkommen unter Anwendung der Mindestkapitalausstattungsmethode. Diese Vorgehensweise begründete das Finanzamt mit der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte gemäß Authorised OECD Approach (AOA). Danach sei eine Betriebsstätte zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln (§ 1 Abs. 5 Satz 2 Hs. 1 AStG). Da ein eigenständiges Versicherungsunternehmen notwendigerweise über ein aufsichtsrechtliches Mindestkapital verfügen müsse, gelte dies auch für die inländische Betriebsstätte eines ausländischen Versicherungsunternehmens.
Die gegen die Anwendung der Mindestkapitalausstattungsmethode erhobene Klage hat das FG München abgewiesen. Insbesondere hat das FG München festgestellt, dass der Versicherungsbetriebsstätte in jedem Fall ein Kapital in Höhe des aufsichtsrechtlichen Mindestkapitals zuzuordnen sei. Das Finanzgericht folgt dabei dem Argument des Finanzamts, wonach die Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte notwendigerweise ein positives Dotationskapital mindestens in der Höhe des aufsichtsrechtlichen Mindestkapitals erforderlich mache.
Das Urteil des FG München überzeugt nicht. Zum einen ignoriert es den klaren Hinweis in den Gesetzesmaterialien, wonach die Mindestkapitalausstattungsmethode „eine Untergrenze für die Anwendung der Öffnungsklausel“ darstellt (BR-Drs. 401/14, 119), den das Finanzamt zur Kenntnis nimmt (Rn. 43 des Urteils), aber weniger stark gewichtet. Zudem kommt es durch den rein deklaratorischen Ausweis eines negativen Dotationskapitals nach HGB-Werten entgegen der Ansicht des Finanzgerichts nicht zu einer zu geringen Zuordnung von Kapitalanlagen zur inländischen Besteuerung, sondern gerade zu einer fremdvergleichskonformen und risikoproportionalen Zuordnung von Kapitalanlagen, die den eingegangenen Versicherungsrisiken entspricht.
Es bleibt zu hoffen, dass gegen das Urteil Revision eingelegt wird und der BFH unter Aufhebung des FG-Urteils insbesondere feststellt, dass die Mindestkapitalausstattungsmethode nur bei Inanspruchnahme der Öffnungsklausel zur Anwendung kommt und nicht, wenn der Steuerpflichtige die Kapitalaufteilungsmethode als Regelmethode verwendet hat. Sollte bei Anwendung der Kapitalaufteilungsmethode nach HGB-Werten ein negatives Dotationskapital resultieren, ist dies steuerlich hinzunehmen, weil andernfalls durch die weitere Zuordnung von indirekten zuordenbaren Kapitalanlagen ein zu hoher Anteil der Kapitalerträge der deutschen Besteuerung unterworfen würde – zu Lasten aller Belegenheitsstaaten der übrigen Betriebsstätten des Versicherungsunternehmens.
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