Wie der Perspektivenwechsel potenzielle Gefahren in reelle Chancen verwandelt

Interview: „Unternehmen müssen ihren Kurs im Umgang mit Disruptionen und Risikofreudigkeit ändern“

  • Interview
  • 4 Minuten Lesezeit
  • 03 Feb 2025

Die Risikolandschaft für Unternehmen ist komplexer denn je. Neue Herausforderungen erfordern ein Umdenken und einen ganzheitlichen Ansatz im Risikomanagement. Ein Interview mit Robert Paffen und Marc Billeb über die Notwendigkeit, Risiken frühzeitig zu erkennen, kalkuliert einzugehen und die entscheidende Rolle einer risikobewussten Unternehmenskultur.

Dr. Robert Paffen und Marc Billeb leiten den Bereich Risk & Regulatory bei PwC Deutschland. Beide verfügen über langjährige Erfahrung in der Entwicklung modernster Governance-, Risiko- und Compliance-Lösungen. Dazu gehören unter anderem die risikobasierte Steuerung von Strategie und Performance, der Umgang mit Finanzrisiken, der Aufbau von Resilienz sowie die Planung und Umsetzung von Krisenmanagementmaßnahmen.

Herr Paffen, Herr Billeb, Unternehmen und ihre Führungskräfte mussten schon immer Risiken unterschiedlichster Natur handhaben. Warum braucht es jetzt einen Perspektivenwechsel?

Robert Paffen: Die Ergebnisse des aktuellen PwC CEO Survey zeigen, dass 37 % der CEOs in Deutschland daran zweifeln, dass ihr Unternehmen bei unverändertem Kurs in zehn Jahren noch wirtschaftlich tragfähig ist. Das sind sieben Prozent mehr als noch im vergangenen Jahr – und nähert sich damit weiter dem globalen Durchschnitt von 42 % an. Unternehmen müssen ihren Kurs im Umgang mit Disruptionen und Risikofreudigkeit ändern, um diese Entwicklung zu stoppen.

Marc Billeb: Hinzu kommt, dass sich die Risikolandschaft in den vergangenen Jahren erheblich verändert hat. Technologische Entwicklungssprünge, der Klimawandel und die Zunahme extremer Wetterereignisse, ein dynamisches Regulierungsumfeld sowie plötzliche politische Verschiebungen stellen Unternehmen vor neue Herausforderungen. Der Fachkräftemangel, zunehmender Wettbewerb und die steigende Cyberkriminalität machen dieses ohnehin schon gefährliche Krisengemisch noch explosiver.

Paffen: Viele dieser Risiken sind miteinander verknüpft und erfordern daher einen ganzheitlichen Ansatz. Deshalb plädieren wir dafür, sie nicht nur isoliert zu betrachten, sondern in ihrer Gesamtheit und mit all ihren Wechselwirkungen. Unser Ansatz basiert daher auf drei wesentlichen Schritten:

See Risk, Take Risk und Manage Risk. Nur so können Unternehmen den komplexen Herausforderungen der heutigen Zeit gerecht werden.

See Risk meint also Risiken frühzeitig zu identifizieren um weitsichtig mit ihnen umzugehen – wie gelingt das?

Paffen: Es braucht eine neue Betrachtungsweise, die das Erfassen, Visualisieren und Bewerten von Risiken auf allen Ebenen ermöglicht. 

Wir unterscheiden dabei zwischen vier Dimensionen: Macro Risk, Enterprise Risk, Resilience und Crisis. Bei ersterem handelt es sich zunächst darum, in welchem Kontext das Unternehmen agiert. Themen wie beispielsweise geopolitische Veränderungen sind Szenario-basiert zu modellieren und analysieren. Enterprise Risk bezieht sich wiederum auf das gesamte Unternehmen und das Zusammenspiel von zum Beispiel operativen Risiken und Compliance-Risiken. Resilience nimmt unter anderem Prozesse, Kontrollmechanismen oder das Third Party Risk Management in den Fokus. Entscheidend ist hier die Fähigkeit, wertschöpfende Prozesse widerstandfähig aufzustellen. Die Dimension Crisis zeigt uns auf, wie wichtig es ist, mit Geschwindigkeit auf Krisensituationen wie Cyberattacken, Pandemien oder etwa Supply Chain Disruption zu reagieren. Hierbei lautet das Motto: „Man kann sich darauf vorbereiten“.

Billeb: Es ist entscheidend, kommende Risiken zu antizipieren und sie nicht als Ausnahmeerscheinungen, sondern als ständige Begleiter zu sehen. Das bringt letztlich eine größere Beweglichkeit mit sich, um Gefahren frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden sowie neue Erkenntnisse zu gewinnen. Wichtig ist, moderne Technologien und Datenanalysen zu nutzen, um ein umfassendes Risikobild zu zeichnen und dabei verfügbare Quellen zu nutzen. Unternehmen sollten elaborierte Frühwarnsysteme einrichten, die Bedrohungen frühzeitig erkennen und es ermöglichen, schnell und adäquat zu reagieren. So können sie nicht nur Risiken besser managen, sondern auch Chancen identifizieren.

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Aber ohne Risiken einzugehen, kommen Unternehmen nicht weiter – es droht der Stillstand.

Paffen: Exakt. Deshalb sprechen wir von „Take Risk“. Unternehmen müssen Risiken in ihre Strategie und Entscheidungsfindung einbinden, abgestimmt auf ihre eigene Risikobereitschaft. Nur durch schnelles Handeln und das Eingehen kalkulierter Risiken können sie den Wandel vorantreiben und Wettbewerbsvorteile erzielen.

Billeb: Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Verbesserung der Datenqualität und die Validierung von Datenmodellen. Dies unterstützt eine sichere Entscheidungsfindung und hilft, neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Unternehmen, die bereit sind, managebare Risiken einzugehen, können sich besser an Veränderungen anpassen und Innovationen vorantreiben.

Wie finden Führungskräfte heutzutage die richtige Balance aus Sicherheit und Risikoappetit?

Paffen: Ein bewährter Ansatz ist die Implementierung von strukturierten Risikomanagement-Frameworks, die die Basis dafür schaffen, potenzielle Risiken systematisch zu identifizieren, zu bewerten und zu steuern.

Billeb: Führungskräfte sollten ihren Risikorahmen und ihre Kontrollen kontinuierlich weiterentwickeln, optimieren und validieren. Dabei ist es wichtig, dass sie zusammenarbeiten, um Risiken auf integrierte Weise einzugehen und zu steuern. Ein CFO sieht andere Risiken und Chancen als ein CTO, daher ist eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit unerlässlich.

Welche modernen Technologien helfen dabei?

Paffen: Technologien wie KI-gestützte Analysen befähigen Unternehmen, tiefere Einblicke zu gewinnen, Prozesse zu verfeinern und Vertrauen in neue Geschäftsmodelle aufzubauen. Sie helfen dabei, die Komplexität zu durchbrechen und Risiken in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, was zu schnelleren und besseren Entscheidungen führt.

Billeb: Das Einrichten von intelligenten Frühwarnsystemen, die Bedrohungen frühzeitig erkennen, ist ebenfalls wichtig. Durch die Umgestaltung der Risikobewertung und -berichterstattung können sich Unternehmen auf die wirklich relevanten Risiken konzentrieren, die Abdeckung erhöhen und blinde Flecken vermeiden.

Insgesamt tragen digitale Technologien dazu bei, eine robuste und proaktive Risikomanagementstrategie zu entwickeln.

Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur im Umgang mit Risiken, und wie können Führungskräfte eine risikobewusste Kultur fördern?

Paffen: Die Unternehmenskultur ist entscheidend für den Umgang mit Risiken. Führungskräfte müssen eine offene und transparente Kommunikation zu Risiken und Fehlern fördern. Nur so entsteht ein Umfeld, in dem Risiken als integraler Bestandteil des Geschäfts betrachtet werden und nicht als etwas, das es um jeden Preis zu vermeiden gilt.

Billeb: Führungskräfte können eine risikobewusste Kultur fördern, indem sie selbst als Vorbilder agieren und risikobewusstes Verhalten vorleben. Dies beinhaltet, Risiken offen zu diskutieren, aus Fehlern zu lernen und Erfolge zu feiern, die durch das Eingehen kalkulierter Risiken erzielt wurden.

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Leader Risk & Regulatory, PwC Germany

Marc Billeb

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