Strom kommt günstig und zuverlässig – über viele Jahrzehnte reichte dies den meisten Unternehmen, vereinfacht gesagt, als Strombeschaffungsstrategie aus. Doch die Zeiten haben sich geändert: Vor allem die Energiekrise, die der völkerrechtswidrige russische Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 verschärfte, hat gezeigt, dass ein sicherer Zugang zu bezahlbarem Strom nicht mehr selbstverständlich ist.
Hinzu kommt, dass Unternehmen aufgrund der Klimaziele und anderer Nachhaltigkeitsanforderungen – nicht zuletzt von Seiten ihrer Stakeholder – Strom beschaffen müssen, der auch nachhaltig erzeugt ist.
Wie können Unternehmen diese komplexe Aufgabe angehen und ihre Strombeschaffung auf den Dreiklang Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Verlässlichkeit ausrichten? Die wichtigsten Prinzipien und Modelle für die Umsetzung einer zeitgemäßen Strombeschaffungsstrategie erfahren Sie im Folgenden.
Ihr Experte für Fragen
Folker Trepte
Partner und Leiter Energiewirtschaft bei PwC Deutschland
Tel.: +49 8957 906-758
E-Mail
Auf den Punkt gebracht: Energie muss heute zur Chefsache werden. Der Stromeinkauf sollte Gegenstand einer Energiestrategie sein, die eng mit der Nachhaltigkeits-, der Einkaufs- und der allgemeinen Geschäftsstrategie verzahnt ist. Sie sollte kurz-, mittel- und langfristige Handlungsoptionen für Energiebeschaffung und -verbrauch formulieren, um eine nachhaltige, wirtschaftliche und zuverlässige Stromversorgung sicherzustellen.
Ein sinnvoller Ausgangspunkt für die strategischen Überlegungen ist der Stromverbrauch: Wo schlummern beispielsweise Einsparpotenziale? Denn der günstigste Strom ist der, der gar nicht erst verbraucht wird. Wichtig ist zudem, an diesem Punkt die Potenziale von Eigenversorgung zu identifizieren. Bei der Strombeschaffung im engeren Sinne sollten die Unternehmen prüfen, inwieweit sie ihren Verbrauch an die Marktentwicklung anpassen können – das sogenannte Demand Side Management.
Die Strategie sollte dabei stets berücksichtigen, dass die gewählten Maßnahmen nicht nur wirtschaftlich sind, sondern auch die Zuverlässigkeit und die Nachhaltigkeit der Strombeschaffung verbessern. Deshalb nehmen gute Strombeschaffungsstrategien verschiedene Szenarien in den Blick, etwa was die geopolitische Entwicklung angeht.
Angesichts der komplexen Herausforderungen führt mehr als ein Weg zum Ziel. So kann es für ein Unternehmen sinnvoll sein, eine eigene Tochtergesellschaft für Stromerzeugung und -handel zu gründen, während die beste Option für ein anderes Unternehmen die Vollversorgung durch einen regionalen Erzeuger ist. Für die meisten Unternehmen wird die optimale Lösung ein Mittelweg sein, der Eigen- und Fremdverantwortung für die Beschaffung kombiniert.
Wie auch immer der gewählte Weg aussieht – wichtig ist, dass er Resultat einer strategischen Analyse ist. Übrigens: Funktionieren kann eine solche Analyse nur auf Grundlage verlässlicher Daten. Unternehmen sollten Stromverbrauch und -beschaffung daher gründlich monitoren.
Um die oben dargestellten Veränderungen in der Strombeschaffung umzusetzen, sollten Unternehmen die folgenden Prinzipien berücksichtigen:
Anlagenbetreiber, die grünen Strom erzeugen, können sich dafür sogenannte Herkunftsnachweise (HKN) ausstellen lassen und mit diesen handeln. Unternehmen können HKN zusätzlich zum beschafften Strom erwerben und diesen damit unabhängig vom physikalischen Strommix als nachhaltig deklarieren. Da HKN sich nur einmal entwerten lassen, kann grüner Strom mit ihnen nicht missbräuchlich mehrfach verwendet werden. Wer HKN nutzen will, sollte sich allerdings mit möglichen Reputationsrisiken, die insbesondere aus Greenwashing-Vorwürfen resultieren können, auseinandersetzen.
Im Rahmen von PPAs beziehen Unternehmen Strommengen zu einem festgelegten Preis und für einen bestimmten Zeitraum direkt von einem Anlagenbetreiber. Bei On-Site PPAs erzeugt der Anlagenbetreiber den Strom auf oder in unmittelbarer Nähe des verbrauchenden Unternehmens, sodass die Lieferung unabhängig vom allgemeinen Stromnetz erfolgt – das erhöht die Zuverlässigkeit. Bei Off-Site PPAs fließt der Strom durch das allgemeine Netz. Solche Arrangements lassen sich meist flexibler handhaben.
Eine engere, aber auch kapitalintensivere Form der Zusammenarbeit mit Erzeugern und Projektentwicklern stellen strategische Partnerschaften bzw. Joint Ventures dar. Sie bieten einen individuell angepassten Zugang zu den benötigten Strommengen. Häufig ist es allerdings eine Herausforderung, einen passenden Partner zu finden, weil Projektentwickler tendenziell auf schlüsselfertige Vorhaben setzen.
Investments in bestehende (sogenannte Brownfield-Investments) oder neu zu bauende Erzeugungsanlangen (Greenfield-Investments) ermöglichen es Unternehmen, Strom zu beschaffen, ohne auf Dritte angewiesen zu sein. Zudem ist es langfristig meist günstiger, Strom selbst zu produzieren. Neben erheblichen Kapitalmengen erfordern solche Investments jedoch vielfältiges Know-how und binden dauerhaft Personalressourcen.
Schließlich können Unternehmen auch Energieversorger, -dienstleister oder Projektentwickler erwerben, um so Zugang zu den benötigten Strommengen, Infrastrukturen und Kompetenzen zu erhalten. Dieses Vorgehen ist sehr kapitalintensiv und kommt deshalb vor allem für große Unternehmen mit hohen und komplexen Strombedarfen in Frage. Eine eigene Stromhandelsgesellschaft unterstützt langfristig dieselben Ziele.
„Unternehmen müssen den Stromeinkauf als strategische und nicht mehr nur als operative Aufgabe verstehen. In vielen Fällen bedeutet das, die Energiebeschaffung grundlegend neu zu organisieren.“
Folker Trepte,Partner und Leiter Energiewirtschaft bei PwC Deutschland