Krankenversicherungen sind anfällig für Abrechnungsbetrug

PwC-Studie 2021: Abrechnungsbetrug bleibt häufig unentdeckt

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Gunter Lescher

Gunter Lescher
Partner Forensic Services und Experte für Wirtschaftskriminalität und Compliance im Versicherungs- und Healthcarebereich bei PwC Deutschland
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Krankenversicherungen gehen bei Betrugsbekämpfung nicht entschieden genug vor

Abrechnungsbetrug und Korruption im deutschen Gesundheitswesen führen Jahr für Jahr zu Schäden in Milliardenhöhe – mit gravierenden Folgen: das Vertrauen der Öffentlichkeit schwindet, die Ausgaben für Gesundheit steigen, der Ruf der Unternehmen leidet. Wie bewerten die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und die privaten Krankenversicherungen (PKV) das Thema? Wie konsequent gehen sie bei Betrugsprävention und -bekämpfung vor? In welchen Bereichen vermuten sie die meisten Betrüger? 

Diesen Fragen geht eine Studie zum Abrechnungsbetrug nach, für die PwC 19 gesetzliche (61 Prozent Marktabdeckung, gemessen an den Mitgliederzahlen) und 13 private Krankenversicherungen (77 Prozent Marktabdeckung, gemessen an der Zahl der Krankenvollversicherten) befragt hat. Die Analyse knüpft an eine Vorgängerstudie aus dem Jahr 2012 an und untersucht zwischenzeitliche Entwicklungen.

Die Studie im Überblick

Die Dunkelziffer ist beim Thema Abrechnungsbetrug hoch

Die Abrechnung von Leistungen, die nie erbracht wurden, gefälschte Rezepte oder manipulierte Rechnungen – nicht nur die Fallzahlen, sondern auch die Schadenshöhen durch Abrechnungsbetrug sind gegenüber der Vergleichsbefragung 2012 gestiegen: So berichten aktuell 53 Prozent der gesetzlichen Krankenkassen von mindestens 100 Betrugsfällen aus dem vergangenen Jahr. 48 Prozent der GKV berichteten aktuell über Schäden von mehr als 500.000 Euro. Im Jahr 2012 meldete die Mehrheit (64 Prozent) lediglich bis zu zehn Betrugsdelikte, wobei 54 Prozent der Krankenkassen über Schäden von maximal 50.000 Euro berichteten.

Noch größer ist das Risiko in der privaten Krankenversicherung: 76 Prozent der Unternehmen sind aktuell Gesamtschäden von mehr als 500.000 Euro entstanden (2012: 50 Prozent). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass es den Organisationen besser als im Jahr 2012 gelingt, Betrug und Korruption aufzuklären. Gleichzeitig gibt es aber ein großes Dunkelfeld: 84 Prozent der Unternehmen schätzen die Dunkelziffer als hoch oder sehr hoch ein.

„Krankenversicherungen können nur mit einer ganzheitlichen Lösung gezielt auch solche Fälle bekämpfen, die sich bislang im Dunkelfeld abspielen.“

Gunter Lescher, Partner Forensic Services und Experte für Wirtschaftskriminalität und Compliance im Versicherungs- und Healthcarebereich bei PwC Deutschland

Die Haupttäter sind in der Regel Versicherte oder dem Pflegebereich zuzuordnen

Wer begeht Betrug oder verhält sich korrupt? Die gesetzlichen Krankenkassen sahen die meisten Täter im Bereich der Pflege (95 Prozent Pflegedienst, 68 Prozent häusliche Krankenpfleger), während die privaten Krankenversicherungen zu 100 Prozent den Versicherten selbst als Haupttäter einschätzen. In der PKV ist das Risiko für Fraud durch den Versicherten höher, da die Versicherten rund 70 Prozent aller Leistungsausgaben direkt mit ihrer Versicherung abrechnen. Krankenhäuser, die einen der größten Kostenblöcke darstellen, spielen aus Sicht der PKV und GKV nur eine untergeordnete Rolle.

„Die aktuelle COVID-19-Pandemie könnte das Risiko für Abrechnungsbetrug aber noch deutlich erhöhen und sich nach Einschätzung von PwC-Experten zum ‚Brandbeschleuniger‘ entwickeln.“

Linda Heintz,Senior Managerin Forensic Services und Healthcare-Expertin bei PwC Deutschland

Der Kampf gegen Abrechnungsbetrug

Die Krankenkassen haben den Kampf gegen Abrechnungsbetrug intensiviert und entsprechend personell aufgestockt: Die gesetzlichen Krankenkassen beschäftigen durchschnittlich inzwischen drei Vollzeitkräfte (2012: 1,4 Vollzeitkräfte) – auch die privaten Krankenversicherungen haben nachgezogen und spezialisierte Stellen mit aktuell durchschnittlich etwa vier beschäftigten Vollzeitkräften eingerichtet. Dennoch zeigt sich, dass die Unternehmen Abrechnungsbetrug nicht konsequent genug bekämpfen. 

Statt Kontrollen, die intern durchgeführt werden, verlassen sie sich zu stark auf Hinweise von außen, etwa durch andere gesetzliche Krankenkassen, Polizei und Staatsanwaltschaft. Vielfach gehen sie den Hinweisen auch nicht entschieden genug nach: Das gilt insbesondere für die gesetzlichen Krankenkassen, deren Bereitschaft allen Hinweisen nachzugehen von 73 auf 53 Prozent gesunken ist. Bei der Betrugsprävention sind die privaten Krankenversicherungen insgesamt den gesetzlichen überlegen, sie gehen aktiver vor und nutzen stärker die Chancen der Digitalisierung. So setzen etwa 92 Prozent der PKV auf klassische Datenanalysemethoden. Hingegen wendeten nur 37 Prozent der gesetzlichen Krankenkassen diese an.

Nur wenige Unternehmen nutzen Compliance-Management-Systeme zur Bekämpfung von Abrechnungsbetrug

Betrugsprävention erfordert eine stetige Weiterentwicklung der Anti-Fraud-Maßnahmen. Doch dabei gehen insbesondere die gesetzlichen Krankenkassen zurückhaltend vor: Nur 32 Prozent planen die Einführung weiterer Maßnahmen zur Bekämpfung und Aufklärung von Abrechnungsbetrug, während es bei den privaten Krankenversicherungen 92 Prozent sind. Eine ganzheitliche Lösung, mit der sich das Risiko reduzieren lässt, kann ein Anti-Fraud-Management sein, das als Teilbereich in ein unternehmensübergreifendes Compliance-Management-System integriert ist. Compliance-Programme zur Bekämpfung von Abrechnungsbetrug sind bislang allerdings wenig verbreitet: Lediglich elf Prozent der gesetzlichen und 46 Prozent der privaten Krankenversicherungen nutzen diese Lösung.

„Die Krankenversicherungen nutzen forensische Datenanalysen noch zu wenig. Sie können etwa eingesetzt werden, um bislang unbekannte Betrugsfälle und die dahinter liegenden Handlungsmuster der Betrüger aufzudecken.“

Gunter Lescher,Partner Forensic Services und Experte für Wirtschaftskriminalität und Compliance im Versicherungs- und Healthcarebereich bei PwC Deutschland

Die Methodik

Für die vorliegende Studie hat PwC Deutschland gesetzliche Krankenkassen und private Krankenversicherungen anhand eines strukturierten Fragebogens zu ihren Einschätzungen zu Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen befragt. Die Fragen haben sich dabei auf folgende Themenfelder konzentriert: Höhe und Häufigkeit von Schäden, Täter und Täterkonstellationen, Entdeckungswege, Verfolgung und Sanktionierung, Implementierte Maßnahmen, Prävention, Compliance und geplante Weiterentwicklungen. PwC Deutschland hat eine vergleichbare Studie bereits im Jahr 2012 durchgeführt. Sofern in der Studie auf Werte aus dem Jahr 2012 Bezug genommen wird, beziehen diese sich auf die Ergebnisse aus der damaligen Studie.

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Maximilian Köhrer

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Manager, Risk & Regulatory, PwC Germany

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