28 Dezember, 2017
Acht von zehn Bürgern macht der Gedanke, im Alter in ein Pflegeheim ziehen zu müssen, große Sorge. Lediglich sechs Prozent der Deutschen können sich vorstellen, freiwillig in einem Heim zu leben, wenn sie pflegebedürftig werden. Das sind Ergebnisse einer PwC-Bevölkerungsbefragung zur Pflege unter 1.000 Bundesbürgern.
Michael Burkhart, bis Juli 2023 Leiter des Bereichs Gesundheitswesen & Pharma, und Sevilay Huesman-Koecke, bis 2022 Expertin für Gesundheitswesen bei PwC Deutschland, erläutern im Interview, wie sie diese Studienergebnisse bewerten.
Warum genießen Pflegeheime in Deutschland einen so schlechten Ruf, dass Bürger sich Sorgen um ihr Leben im Alter machen?
Michael Burkhart: Die Ergebnisse unserer Studie sollten uns aufrütteln; die Angst der Bürger müssen wir ernst nehmen. Ich führe sie darauf zurück, dass der Personalnotstand in der Pflegewirtschaft – ein häufiges Thema in den Medien – auch im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen ist. Die Teilnehmer unserer Studie bestätigen, dass sie sich am meisten Gedanken um den Personalmangel und überforderte Pflegekräfte machen. Sie wissen, dass damit eine schlechtere Versorgungsqualität und weniger Zeit für den einzelnen Bewohner verbunden sind. Doch die Bürger erkennen durchaus an, dass die Heime unterschiedlich gut arbeiten: 71 Prozent bestätigen, dass es große Qualitätsunterschiede unter den Einrichtungen gibt.
Was können die Pflegeheime tun, um die Lebensqualität für die Bewohner, aber auch die Arbeitsqualität der Mitarbeiter zu stärken?
Sevilay Huesman-Koecke: Ich bin davon überzeugt, dass wir eine neue Kultur der Wertschätzung in den Einrichtungen brauchen, die stärker wieder den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Oft lässt sich dieser Kulturwandel schon durch kleine Verhaltensänderungen im täglichen Miteinander zwischen Bewohnern, Angehörigen und Mitarbeitern erreichen. Etwa dadurch, dass die Privatsphäre der Patienten stärker respektiert wird – die Studienteilnehmer bestätigen, dass ihnen dies wichtig ist. Mehr Zeit für den einzelnen Patienten lässt sich aber auch dadurch gewinnen, dass wir intelligente Technologie stärker in den Pflegealltag einbinden und dadurch Entlastung für das Personal schaffen, beispielsweise digitale Pflegedokumentationen oder GPS-Systeme für Demenzkranke.
Viele Pflegeheime bekommen durch den Pflege-TÜV, der 2009 eingeführt wurde, vergleichsweise gute Noten. Müsste dieses Bewertungssystem nicht das Vertrauen der Bürger in die Heime stärken?
Burkhart: Wir stellen in der Praxis fest, dass der Pflege-TÜV in seiner bisherigen Form letztlich wenig Aussagekraft hat. Die Qualität einer Einrichtung lässt sich nicht mit einem standardisierten Bewertungssystem messen. Wir setzen daher ein innovatives Tool zur Messung der Versorgung in Seniorenheimen ein, das qualitätsbasiert ist und von unseren niederländischen Kollegen in Zusammenarbeit mit der Universität von Rotterdam entwickelt wurde. Im Mittelpunkt stehen dabei die Bewohner, die Angehörigen und Mitarbeiter. Sie werden in einem Veränderungsprozess kontinuierlich befragt. So kann die Einrichtung auf Probleme schnell reagieren. Das ist ein langfristiger Lernprozess, von dem auch andere Abteilungen im Haus oder andere Einrichtungen profitieren können.
Wie kann es den Pflegeheimen gelingen, dem Pflegenotstand zu begegnen, also Personal zu gewinnen und zu halten?
Huesman-Koecke: Die Befragten in unserer Studie sehen Optimierungsansätze in einer Verbesserung des Betreuungsschlüssels und einer höheren Bezahlung der Pflegekräfte. Das sind sicherlich wichtige Faktoren, aber sie reichen nach unserer Einschätzung nicht aus, um Personal zu gewinnen und langfristig an eine Einrichtung zu binden. Entscheidend ist die individuelle Zufriedenheit der Pflegekräfte mit den Rahmenbedingungen ihrer Arbeit und dem Klima in einem Heim. Sie wirkt sich stark auf den Umgang mit den Bewohnern und Angehörigen aus und sollte daher regelmäßig abgefragt werden. Nur wenn wir die Stimme der Mitarbeiter ernst nehmen, erreichen wir eine Aufwertung des Pflegeberufs und können der Personalknappheit in der Gesundheitswirtschaft begegnen.
Roland M. Werner
Partner, Leiter Gesundheitswirtschaft & Pharma, PwC Germany
Tel.: +49 170 7628-557