Von Net Zero zu Nature Positive – warum sich der deutsche Finanzsektor jetzt mit Biodiversität beschäftigen sollte

PwC & WWF Studie 2022: Biodiversität bislang kaum auf der Agenda des deutschen Finanzsektors – zahlreiche Tools & Initiativen helfen beim Start

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Angela McClellan
Director Sustainable Finance bei PwC Deutschland
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Biodiversitätskrise spitzt sich zu

Das weltweit fortschreitende Artensterben und die Zerstörung von Ökosystemen entwickelt sich zunehmend zum Finanzrisiko für den Finanzsektor. Nach Schätzungen des World Economic Forums und PwC UK hängt global mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung in hohem oder moderatem Maße vom Erhalt der biologischen Artenvielfalt und Lebensräume oder Biodiversität ab. Sollten kritische Kipppunkte (Tipping Points) erreicht werden, drohen der Weltwirtschaft jährliche Verluste von bis zu 2,7 Billionen US-Dollar. Der Schutz der biologischen Vielfalt und intakte Ökosysteme sind zur Wahrung der wirtschaftlichen Stabilität und zum Schutz des Klimas unerlässlich. Mit Biodiversitätsmaßnahmen wie Aufforstung oder Schutz natürlicher Senken lassen sich auch Ihre CO2-Emissionen mindern.

Um die Pariser Klimaziele und die SDGs zu erreichen, halten Politik und Regulatoren Finanzunternehmen durch Offenlegungspflichten verstärkt dazu an, Kapitalströme in Richtung Schutz der Biodiversität und Ökosysteme zu lenken. Auch die Aufsicht und Zentralbanken haben erkannt, dass Biodiversitätsrisiken die Finanzmarktstabilität beeinflussen können und erwarten von Instituten, dass sie außerdem die mit dem Verlust von Biodiversität und Ökosystemen verbundenen finanziellen Risiken für das eigene Geschäft stärker in ihren Strategien und im Risikomanagement berücksichtigen.

Doch stehen deutsche Banken, Versicherungen und Asset Manager im europäischen Vergleich damit gerade erst am Anfang, wie die Studie „Von Net Zero zu Nature Positive“ von WWF Deutschland und PwC Deutschland zeigt. 

Gleichzeitig bietet die Wahrung von Biodiversität und Ökosystemleistung der Finanzbranche vielfältige Chancen, neue Geschäftsfelder zu erschließen, innovative Produkte zu entwickeln oder Kooperationen einzugehen. Zahlreiche Initiativen und Tools stehen bereits zur Verfügung (wie z.B. TNFD, SBTN oder PBAF) und helfen dabei, Biodiversitätsaspekte in Strategie, Risikomanagement und Geschäftsprozesse zu intergrieren. 

„Der rasant fortschreitende Biodiversitätsverlust gehört ebenso wie die Klimakrise ganz oben auf die Agenda von Finanzunternehmen. Gefragt sind effektive Maßnahmen und Weichenstellungen, um dieser doppelten systemischen Krise zu begegnen. Dafür sind weltweit Investitionen in Billionenhöhe erforderlich.“

Matthias Kopp, Director Sustainable Finance, WWF Deutschland

Die Studie im Überblick

Hürden bei der Umsetzung 

Der Studie zufolge ist der Umsetzungsgrad bei Finanzunternehmen in Deutschland bei der Integration von Biodiversitätsaspekten in verschiedene Prozesse bislang gering. Demnach haben lediglich drei von 14 befragten Instituten bereits Prozesse zum Risiko- und Chancenmanagement von Biodiversitätsaspekten eingeführt. Alle anderen planen dies oder stehen damit erst am Anfang.

Ähnlich sieht es aus bei der Formulierung konkreter Biodiversitätsziele - lediglich drei Institute haben bereits konkrete Ziele formuliert, alle anderen planen dies noch zu tun. 

Als größte Hürde beim Umgang mit Chancen und Risiken im Bereich Biodiversität nennen die Befragten fehlende Daten und noch nicht standardisierte Metriken zur Quantifizierung von Zielen. Hier erwarten sich die Befragten Impulse oder eine genauere Spezifizierung durch noch ausstehende Regulierungsvorgaben und das in Montreal zu verabschiedende globale Rahmenabkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt mit internationalnen Zielen.

Bewusstsein für Biodiversität wächst 

Zwar spricht die Hälfte der Befragten Biodiversitäts- und Ökosystemaspekten bereits eine eher hohe bis sehr hohe Relevanz zu. Doch steht das Thema noch nicht sehr weit oben auf der Agenda der Institute. Den Wissens- und Umsetzungsstand bei Finanzunternehmen im Bereich Biodiversität bezeichnen die Befragten überwiegend als sehr gering. 

„Akteure im Finanz- und Kapitalmarkt sollten Biodiversitäts- und Klimarisiken priorisieren und Kapitalströme auch am Schutz des Naturkapitals ausrichten. Damit nehmen sie ihre gesamtwirtschaftliche Steuerungsfunktion wahr und tragen zum Erhalt der Funktionsfähigkeit des gesamten Wirtschaftssystems bei.“

Angela McClellan, Director Sustainable Finance bei PwC Deutschland

Compliance als Treiber

International werden Biodiversitätsfaktoren und die damit verbundenen Risiken zunehmend stärker von den Zentralbanken und Aufsichtsbehörden in den Fokus genommen. Womit der Stellenwert des Themas für Finanzinstitute in den kommenden Jahren weiter steigen wird und Compliance-Aspekte zum wesentlichen Treiber der Entwicklung werden dürften.

„Finanzinstitute sollten sich dem Thema Schutz von Biodiversität und Ökosystemen frühzeitig widmen sowie zeitnah Know-how und Kapazitäten aufbauen. Ein zukunftsorientiertes Management von Biodiversitätsrisiken bringt Vorteile in Bezug auf Compliance-Risiken und Kapitalanforderungen.“

Angela McClellan, Director Sustainable Finance bei PwC Deutschland

Regulatorische Anforderungen, das geplante Biodiversitätsrahmenwerk (Post-2020 Global Biodiversity Framework – GBF) und neue Stakeholder-Erwartungen im Bereich Nachhaltigkeit machen eine stärkere Berücksichtigung von Biodiversitätsaspekten für Finanzunternehmen unumgänglich. 

Ziel des GBF ist es, bis 2030  den Netto-Verlust von Biodiversität zu stoppen und eine naturpositive Lebens- und Wirtschaftsweise zu erreichen. Das Rahmenwerk wird womöglich eine ähnliche Wirkung wie das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 entfalten. Darüber hinaus werden regulatorische Bestimmungen zu Sorgfaltspflichten entlang globaler Lieferketten auf EU-Ebene zukünftig womöglich weitreichende Auswirkungen auf deutsche Finanzinstitute haben.

Biodiversität als neue übergreifende Risikokategorie

Biodiversitätsrisiken können die Stabilität einzelner Unternehmen wie auch ganzer Volkswirtschaften beeinflussen, indem sie sich auf bestehende Risikoarten auswirken und materielle finanzielle Verluste herbeiführen können. Die meisten Befragten halten transitorische Biodiversitätsrisiken für bedeutsamer als physische Risiken. Die stärksten Auswirkungen werden der Umfrage zufolge auf regulatorische, rechtliche und systemische Risiken sowie auf Reputations- und Marktpreisrisiken gesehen. 

Ein zukunftsorientiertes Management von Biodiversitätsrisiken erfordert ein Erfassen von Abhängigkeiten und Auswirkungen auf Biodiversität der eigenen Portfolien. Dafür sind bestimmte Tools, Daten und Standards erforderlich, welche es schon gibt oder in der Entwicklung sind.

Chancen einer naturpositiven Wirtschaft 

Das Weltwirtschaftsforum schätzt, das potenzielle Marktvolumen einer naturpositven Wirtschaft auf über zehn Billionen US-Dollar jährlich, mit bis zu 400 Millionen Jobs, die bis 2030 entstehen könnten. Dies betrifft insbesondere die Sektoren Ernährung, Land- und Meeresnutzung, Infrastruktur und bebaute Umwelt sowie Energie und Rohstoffgewinnung.

Die zu erwartende steigende Nachfrage nach nachhaltigen Anlagelösungen eröffnet Chancen für innovative, an Biodiversität gebundene Finanzprodukte, wie Fonds, Kredite und Anleihen. Zusätzliche Dynamik dürften auch öffentliche Förderungen für die Kreditvergabe entfalten. 

Die Erfahrung zeigt, dass solche Themen ihre Zeit brauchen, bis sie bei den Endkund:innen ankommen: Sieben von zwölf Befragten berichten von einem hohen Interesse ihrer Privat- und Geschäftskund:innen an Finanzprodukten mit Fokus auf Biodiversität. Die übrigen sehen bislang ein eher geringes Interesse.

Die deutliche Mehrheit der Befragten sieht die größten Chancen einer adäquaten strategischen und prozessualen Berücksichtigung von Biodiversität in einer verbesserten Risikoresilienz, in der Sicherung der Lebensgrundlagen für Mensch und Natur sowie in Wettbewerbsvorteilen durch das Angebot innovativer Produkte. 

Stellschrauben von „naturnegativ“ auf „naturpositiv“

Das TNFD-Rahmenwerk soll dazu beitragen, globale Finanzströme in nachhaltige Projekte zum Schutz von Biodiversität zu lenken sowie Unternehmen und Banken einen Wegweiser in Richtung eines naturpositiven Wirtschaftens bieten. Entlang des Rahmenwerks wurde ein LEAP-Prozess für das Management naturbezogener Risiken und Chancen im eigenen Unternehmen entwickelt.

LEAP steht für vier grundlegende Analyse Schritte:
1. Locate: Schnittstellen des Unternehmens mit der Natur,
2. Evaluate: Abhängigkeiten von Biodiversität und Ökosystemen
3. Assess: Chancen und Risiken sowie
4. Prepare: Strategie und Reporting.

Ein speziell auf Finanzunternehmen zugeschnittener LEAP-FI-Ansatz ermöglicht eine Anpassung an die besondere Situation von Finanzunternehmen. Geboten werden individuelle Einstiegspunkte und Schritte in Richtung Offenlegung. Die Mehrzahl der befragten Institute befindet sich hier in der Planung der Umsetzungsschritte. Vier Institute haben die Relevanzanalyse bereits durchgeführt. Noch befindet sich LEAP-FI in der Testphase. Eine finale Version wird für September 2023 erwartet.

„In Zukunft wird es angesichts der Klima- und Biodiversitätskrise immer stärker auch um eine doppelte Zielformulierung gehen: ,Net Zero‘ und ,Nature Positive‘ – beides auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und entsprechender Veränderungspfade.“

Matthias Kopp, Director Sustainable Finance, WWF Deutschland

Die Methodik

Für die Studie „Von Net Zero zu Nature Positive“ von PwC und WWF Deutschland wurden 15 Banken, Versicherungen und Asset Manager in Q3 2022 in Deutschland befragt. Ergänzt wurde die Auswertung durch qualitative Interviews.

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Ullrich Hartmann

Ullrich Hartmann

Partner, EMEA Banking and Capital Management (BCM) Sustainability Lead, Co-Lead Sustainability Assurance Services, PwC Germany

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