Interviewreihe zur Studie New Entrants - New Rivals

04 Juli, 2018

Deutschlands große Unternehmen drängen immer weiter in neue Branchen vor. Welche Auswirkungen wird diese Entwicklung auf einzelne Industrien und die deutsche Wirtschaft insgesamt haben? Welche Trends lassen sich bereits erkennen? Unsere Experten Dr. Klaus-Peter Gushurst, Michael Burkhart und Prof. Dr. Norbert Schwieters geben in drei Interviews Einblicke über die sogenannten New Entrants.

Wir stehen an einem Wendepunkt

Dr. Klaus-Peter Gushurst* warnt davor, Tempo und Wucht der Disruption zu unterschätzen – und rät Verantwortlichen, die Schlagzahl zu erhöhen.

*Dr. Klaus-Peter Gushurst ist Leiter Industries & Innovation bei PwC Deutschland

Herr Dr. Gushurst, deutsche Unternehmen entwickeln mit wachsender Entschlossenheit neue Ideen und Geschäftsmodelle. Müssen wir uns um die digitale Transformation der deutschen Wirtschaft keine Sorgen mehr machen?

Dr. Klaus-Peter Gushurst: Es ist sehr erfreulich, dass die führenden deutschen Unternehmen mittlerweile deutlich mehr Vorstöße in fremde Branchen wagen. Laut unserer Studie „New Entrants – News Rivals“ sind die industrieübergeifenden Aktivitäten der Top-Unternehmen in Deutschland allein in den letzten sechs Jahren um mehr als das Zweieinhalbfache gestiegen. Das zeigt: Die Verantwortlichen haben das Problem erkannt und treiben die Transformation ihrer Unternehmen voran. Ich bezweifle jedoch, dass die bisherigen Anstrengungen ausreichen.

Woran machen Sie das fest?

 

Unsere Wirtschaft steht vor einem tiefgreifenden Wendepunkt. Nach unserer Einschätzung wird sich in den nächsten fünf Jahren entscheiden, ob Unternehmen den Sprung ins digitale Zeitalter schaffen oder nicht. Die Verantwortlichen in den Unternehmen sollten den eingeschlagenen Weg deshalb konsequent fortsetzen. In vielen Fällen dürfte es sogar notwendig sein, die Schlagzahl zu erhöhen.

Ist die Bereitschaft dazu vorhanden?

Das ist von Branche zu Branche und auch von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Sorgen macht mir vor allem, dass laut unserer Umfrage viele Manager damit rechnen, dass die Umsätze im Kerngeschäft mindestens stabil bleiben. Das könnte sich als Trugschluss erweisen – und spricht dafür, dass einige das Tempo der Disruption unterschätzen.

Vom Produkt-Fokus lösen

Michael Burkhart* erklärt, warum sich immer mehr Konzerne zu Technologie-Unternehmen entwickeln – und wie eine erfolgreiche Transformation gelingt.

*Michael Burkhart ist Leiter Gesundheitswesen & Pharma bei PwC Deutschland

Herr Burkhart, die Studie „New Entrants – New Rivals“ zeigt: Immer mehr etablierte Unternehmen expandieren in den Tech-Sektor. Sind das Einzelfälle – oder ein Trend?

Michael Burkhart: Aus meiner Sicht ist das ein klarer Trend. Besonders ausgeprägt ist er laut unserer Studie in der Gesundheitswirtschaft: Neun von zehn branchenübergreifender Aktivitäten deutscher Healthcare- und Pharma-Unternehmen zielen auf den Tech-Sektor. Im Maschinenbau sind es rund drei Viertel, in der Automobil- sowie in der Logistik-Branche sind es rund zwei Drittel. Für mich ein klares Zeichen, dass viele Unternehmen selbst aktiv werden und die Initiative nicht mehr allein den Technologiefirmen überlassen.

Viele Unternehmen wandeln sich damit mehr und mehr zu Technologie-Anbietern. Was ist für eine erfolgreiche Transformation besonders wichtig?

Entscheidend sind vor allem kundenzentriertes Denken und Handeln. Das bedeutet, dass sich Führungskräfte vom Produktfokus lösen müssen. Die entscheidende Frage lautet heute nicht mehr: Wie kann ich ein bestehendes Produkt weiter optimieren? Sondern: Wie kann ich das Leben meiner Kunden erleichtern und verbessern? Erst im zweiten Schritt stellt sich dann die Frage nach konkreten Produkten und Services. Gerade Unternehmen aus dem Gesundheitssektor können von diesem kundenzentrierten Ansatz stark profitieren.

Und wenn Führungskräfte eine Antwort darauf gefunden und eine Vision entwickelt haben?

Besonders wichtig ist dann eine fundierte Analyse der Stärken und Schwächen. Denn nur auf diese Weise können Manager entscheiden, ob die Fähigkeiten im eigenen Unternehmen ausreichen – oder ob man doch lieber auf Partnerschaften, Übernahmen oder andere Instrumente setzen sollte.

Aus Rivalen Verbündete machen

Folker Trepte* erklärt, wo Vorstöße in fremde Branchen besonders wichtig sind – und warum er mehr Kooperationen empfiehlt.

*Folker Trepte ist Leiter Energiewirtschaft bei PwC Deutschland 

Herr Trepte, laut Ihrer Studie rechnen 57 Prozent der Führungskräfte im Energiesektor mit Rückgängen im Kerngeschäft in den nächsten fünf Jahren. Zu Recht?

Folker Trepte: Ja. Die Energiewirtschaft ist gut beraten, die Geschwindigkeit und die Wucht des Wandels nicht zu unterschätzen. Das zeigt beispielsweise die Tatsache, dass Autohersteller ins Geschäft mit Ladestationen für Elektroautos drängen. Gerade im Energiesektor ist es deshalb ganz besonders wichtig, Vorstöße in neue Geschäftssektoren zu wagen und auf diese Weise zum Treiber der Disruption zu werden. Und nicht zum Getriebenen.

In anderen Branchen erwartet jeweils eine deutliche Mehrheit der Verantwortlichen, dass die Umsätze im Kerngeschäft zumindest stabil bleiben. Wie realistisch ist das?

 

Das hängt natürlich von der jeweiligen Branche und vom einzelnen Unternehmen ab. Disruption kann über Nacht kommen und es liegt in der Natur der Sache, ihre Auswirkungen nicht exakt im Vorfeld absehen zu können. Es wäre aber in jedem Fall brandgefährlich, wenn Manager sich in Sicherheit wiegen und die eigene Transformation nur noch halbherzig vorantreiben würden. Die Liste der Unternehmen, die die Disruption ihres Geschäftsmodells verschlafen haben und untergegangen sind, ist lang.

Die Studie zeigt darüber hinaus, dass Führungskräfte in Zukunft deutlich mehr Kooperationen mit Wettbewerbern erwarten, wenn es um die Expansion in neue Geschäftssektoren geht. Wie erfolgversprechend ist diese Strategie?

Aus unserer Sicht ist das eine Variante mit erheblichem Potenzial, das zudem bislang noch zu wenig ausgeschöpft wird. Führungskräfte sollten verstärkt Konkurrenten identifizieren, mit denen sie gemeinsame Interessen verbinden und aus Rivalen Verbündete machen – zumal im Zuge des Wandels Branchengrenzen verschwimmen und neue Mega-Cluster entstehen. In dieser Welt wird eine klare Trennung von Konkurrenten und Kooperationspartnern sowieso immer schwieriger. 

Follow us