14 Juni, 2021
Großflächiges und kostenloses Testen ist ein wichtiger Baustein der Strategie des Bundesgesundheitsministeriums zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Seit März 2021 dürfen deshalb nicht nur Ärzte und Apotheker Corona-Schnelltests anbieten, sondern auch private Anbieter. Nun wurden jedoch die ersten Betrugsfälle in Corona-Testzentren bekannt. Im Interview spricht PwC-Experte Gunter Lescher über Betrugsrisiken – und wie diesen begegnet werden kann.
Über Gunter Lescher: Gunter Lescher ist Partner im Bereich Forensic Services bei PwC Deutschland. Der Experte für Wirtschaftskriminalität und Compliance hat sich auf die Aufdeckung, Aufklärung und Prävention von Fraud im Gesundheitswesen und der Versicherungsbranche spezialisiert.
Herr Lescher, die Anzahl der Verdachtsfälle von Betrug in den Corona-Testzentren ist rasant angestiegen. War dies aus Ihrer Sicht zu erwarten?
Gunter Lescher: Zunächst einmal: Die Strategie des Bundesgesundheitsministeriums mit flächendeckenden und kostenlosen Schnelltests ist aus meiner Sicht richtig – und ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Ohne diese Initiative könnten wir heute mit Sicherheit nicht so großzügig öffnen. Um die dafür nötigen Testkapazitäten aufzubauen, musste allerdings alles sehr schnell gehen. Die Einrichtung angemessener Kontrollmaßnahmen geriet da etwas in den Hintergrund.
Dazu kommt: Ein solch rasanter Aufbau neuer Strukturen birgt immer Missbrauchsrisiken. Insofern überraschen mich die vielen Betrugsmeldungen nicht. Aus meiner forensischen Praxis weiß ich: Es gibt Kriminelle, die nach möglichen Kontrollschwächen Ausschau halten und diese gezielt für ihre betrügerischen Zwecke ausnutzen.
Wo sehen Sie die größten Schwachstellen beim aktuellen Vorgehen in Sachen Corona-Tests?
Lescher: Ich sehe vor allem zwei Einfallstore für Betrüger: Das erste betrifft die vergleichsweise niedrigen Hürden bei der Eröffnung eines Testzentrums. Hier fehlt es an konkreten Vorgaben und angemessenen Prüfungen. Wer ein Testzentrum eröffnen möchte, muss sich nach der Beauftragung durch das zuständige Gesundheitsamt nur einmalig bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) registrieren und kann dann im nächsten Schritt monatlich oder quartalsweise seine Leistungen abrechnen. Das bringt mich zum zweiten Schwachpunkt: dem Abrechnungsprozess, der ebenfalls anfällig für Betrug ist.
Wie kann der Betrug beim Abrechnungsprozess ablaufen?
Lescher: Wer es darauf anlegt, kann das System an verschiedenen Stellen im Prozess ausnutzen. Den Tätern geht es vor allem darum, unberechtigte Zahlungen zu veranlassen und sich dadurch zu bereichern. Ein typisches Betrugsmuster besteht darin, mehr Testfälle zu melden als tatsächlich durchgeführt wurden. Denn die Testbetreiber müssen den zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen nur die schlichte Anzahl der durchgeführten Tests melden. In den vergangenen Wochen sind die Coronavirus-Testzahlen extrem angestiegen. Die KVen sind daher höchstens in der Lage, einfache Plausibilitätsprüfungen durchzuführen. Auf dieser Grundlage ist es allerdings kaum möglich, tatsächlich Unregelmäßigkeiten zu entdecken.
Warum gibt es keine Möglichkeit, die Angaben eingehender zu prüfen?
Lescher: Das liegt zum einen daran, dass die Ressourcen im Gesundheitswesen im Zuge der Corona-Pandemie stark beansprucht sind. Zum anderen sind die Verantwortlichkeiten für die Durchführung von Kontrollmaßnahmen, sei es bei der Zulassung der Betreiber oder der Überprüfung der gemeldeten Zahlen für Corona-Tests, bislang nicht eindeutig geklärt. Mit der Folge, dass sich derzeit niemand so richtig für die Prüfung in der Verantwortung sieht.
Aktuell sind die KVen laut Testverordnung lediglich dazu verpflichtet, die Angaben der Betreiber von Testzentren auf formelle Richtigkeit zu überprüfen. Hier ist die Politik gefordert, schnellstmöglich angemessene Kontrollrechte und -pflichten einzuführen.
Erschwert werden effektive Kontrollen ja auch durch die Vorgabe, dass keine personenbezogenen Daten zu den COVID-19-Tests übermittelt werden dürfen…
Lescher: Das ist richtig. Die Angaben, die die Betreiber der Testzentren an die KV melden, dürfen laut Testverordnung keinen Bezug zu der getesteten Person aufweisen. Das macht eine Kontrolle natürlich schwieriger.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat das in den Medien allerdings etwas relativiert. Demnach würde es die Testverordnung durchaus erlauben, die Daten der Testpersonen für Abrechnungszwecke zu speichern. Und für stichprobenhafte Prüfungen der Abrechnungen dürften die Daten laut seiner Aussage sogar weitergegeben werden – unabhängig davon, wo sie gespeichert sind.
Falls sich der Betrug eindeutig belegen lässt: Inwiefern bestehen Rückforderungsansprüche?
Lescher: In der Corona-Testverordnung ist geregelt, dass die Testzentren die Nachweise bis 2024 aufbewahren müssen. Bis zu diesem Zeitpunkt können auch entsprechende Rückforderungsansprüche geltend gemacht werden.
Das Problem: Private Testzentren firmieren häufig als GmbH, deren Geschäftszweck sich in vielen Fällen erledigen wird, sobald die Nachfrage nach kostenlosen Tests nachlässt. Wenn die Gesellschaft, beispielweise aufgrund einer Insolvenz, nicht mehr existiert, können Ansprüche eigentlich nur noch bei den vorherigen Betreibern geltend gemacht werden.
Um tatsächlich an betrügerische Betreiber ranzukommen, muss es den Behörden aber erst einmal gelingen, den Tätern eine konkrete Straftat nachzuweisen. Damit Rückzahlungsansprüche nicht ins Leere laufen, sollten so schnell wie möglich wirksame Kontrollen durchgeführt werden.
Gibt es bei der Beauftragung von Testzentren bislang überhaupt Kontrollen?
Lescher: Die Voraussetzungen unterscheiden sich je nach Bundesland, aber die Hürden für die Eröffnung eines Testzentrums sind tatsächlich niedrig. Die Betreiber müssen lediglich den Nachweis erbringen, dass sie neben einem Betreiberkonzept über passende Räumlichkeiten und eine entsprechende Infrastruktur sowie geeignetes Personal verfügen und ein Hygienekonzept erarbeitet haben. Wenn man sieht, wie viele neue Testzentren kürzlich eröffnet wurden, konnten die Gesundheitsämter allein aus Kapazitätsgründen bislang nur rudimentär prüfen.
Welche Kontrollmaßnahmen sollten aus Ihrer Sicht durchgeführt werden?
Lescher: Insbesondere bei Betreibern, die nicht zu den etablierten Playern im Gesundheitssektor zählen, sollten die Gesundheitsämter vor der Zulassung genauer hinsehen und Recherchen zu den Vertragspartnern durchführen. Dafür eignen sich öffentlich zugängliche Quellen wie beispielsweise Handelsregister- und Wirtschaftsauskünfte. Zusätzlich kann schon ein kurzer Blick ins Internet helfen: Gab es negative Presse zu den Betreibern oder gibt es kritische Verflechtungen?
Zudem ist es wichtig, Kontrollmaßnahmen bei den Testzentren vor Ort durchzuführen und dabei etwa zu kontrollieren, ob die Hygienevorschriften eingehalten werden und die Tests auf das Coronavirus ordnungsgemäß durchgeführt werden – also zu prüfen, ob ein negatives Testergebnis auch wirklich negativ ist damit infizierte Personen zuverlässig identifiziert werden. Diese Kontrollen führen die Gesundheitsämter aktuell auch verstärkt durch.
Welche weiteren Kontrollmaßnahmen sollten neben der Überprüfung der Testzentren eingeführt werden, um Abrechnungsbetrug zu identifizieren?
Lescher: Hierzu bedarf es eines risikoorientierten Kontrollkonzepts, welches schnellstens eingerichtet und angewandt werden sollte.
Neben einer Plausibilitätsprüfung sollten dabei die Abrechnungsdaten auch mittels forensischer Datenanalysen untersucht werden. Dazu gehören sowohl klassische Betrugsmuster-Analysen als auch moderne Analysemethoden, wie zum Beispiel der Einsatz künstlicher Intelligenz zur Anomalieerkennung. Auf der Basis so identifizierter Auffälligkeiten können dann gezielt Vor-Ort-Prüfungen bei den Testzentren durchgeführt werden und auch die dort gespeicherten Daten herangezogen werden.
Außerdem ist es wichtig, die Verdachtsfälle konsequent aufzuarbeiten und dann zur Strafverfolgung an die zuständigen Ermittlungsbehörden weiterzuleiten. Das hat auch eine wichtige Signalwirkung an die Bürgerinnen und Bürger, die damit auch sensibilisiert werden bei den Tests genauer hinzuschauen und Missstände zu melden.