Interview: „Wer das Klima schützt, schützt die Gesundheit“

Ein Interview mit Dr. Markus Müschenich, Dr. Markus Horneber und Michael Burkhart. Das Gesundheitswesen ist für einen erheblichen Anteil der CO₂-Emissionen in Deutschland verantwortlich, stand bislang bei Forderungen nach mehr Klimaschutz aber nicht im Fokus. Wie kann der Gesundheitssektor grüner gestaltet werden? Das war die zentrale Frage beim Gesundheitsclub Rhein-Main am 28. April 2022.

Michael Burkhart, bis Juli 2023 Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft bei PwC Deutschland, leitete in die Veranstaltung mit dem Titel „Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen: 5 vor 12 oder 5 nach 12“ ein. Daraufhin hielten die Referenten Dr. Markus Müschenich, Managing Partner bei Eternity Health und Dr. Markus Horneber, Vorstandsvorsitzender der Agaplesion gAG, Ihre Keynotes. Im Anschluss dessen diskutierten sie über das Thema, gemeinsam mit den anderen Teilnehmer:innen des Gesundheitsclubs Rhein-Main.

Der Klimawandel zählt zu den größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Wo steht das deutsche Gesundheitswesen in puncto Nachhaltigkeit?

Michael Burkhart: Unser Gesundheitswesen trägt erheblich zur Klimakrise bei, beispielsweise durch seinen hohen Energieverbrauch oder globale Lieferketten. Es ist für 5,2 Prozent der CO₂-Emissionen in Deutschland verantwortlich – dieser Wert liegt sogar noch über dem weltweiten Schnitt von 4,4 Prozent. Vielen Menschen ist aber nicht bewusst, dass die Gesundheitsbranche zu den großen Klimasündern gehört, wie unser „Healthcare-Barometer 2022“ zum Schwerpunkt Nachhaltigkeit gezeigt hat: So wissen lediglich 13 Prozent der Bürger:innen, dass der Gesundheitssektor mehr Emissionen ausstößt als der Flugverkehr oder die Schifffahrt.

Das muss sich dringend ändern, wir benötigen eine Strategie zur klimafreundlichen Gesundheitsversorgung in Deutschland. Denn: Wer das Klima schützt, schützt auch die Gesundheit der Menschen.

Welche Anforderungen in puncto Klimaschutz werden auf das deutsche Gesundheitswesen in den nächsten Jahren zukommen?

Dr. Markus Müschenich: Wenn Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein will, muss im Gesundheitswesen noch viel passieren. Derzeit steigen die CO₂-Emissionen im Gesundheitssektor weiter an, während sie in anderen Branchen rückläufig sind. Doch der Druck auf die Gesundheitswirtschaft wächst.

Die digitale Transformation hat unser Gesundheitssystem schon jetzt grundlegend verändert. Eine ähnlich disruptive Entwicklung erwarte ich in den kommenden Jahren für den Bereich Green Health. Die Klimawende wird dafür sorgen, dass neue Player mit neuen Geschäftsmodellen auf den Gesundheitsmarkt drängen. Die Anzeichen für die grüne Wende sind überdeutlich: Bei der Weltklimakonferenz in Glasgow im Herbst 2021 haben die Staaten beschlossen, sich für ein nachhaltiges Gesundheitswesen einzusetzen. Auch der Deutsche Ärztetag forderte im vergangenen Herbst, dass der deutsche Gesundheitssektor bis zum Jahr 2030 klimaneutral sein soll.

Das Gesundheitswesen steht unter enormem Kostendruck. Sind diese Ziele überhaupt realistisch umsetzbar?

Dr. Müschenich: Das Gesundheitswesen hat ein großes Potenzial, seinen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Das hat allerdings seinen Preis.

Auf EU-Ebene werden die Ausgaben allein bis zum Jahr 2030 bei 395 Milliarden Euro liegen, in den beiden folgenden Jahrzehnten werden jeweils mehr als 400 Milliarden Euro nötig sein. Ebenso notwendig wie die finanziellen Mittel sind allerdings die gemeinsamen Anstrengungen von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft im Sinne von Net Zero.

Wie kann Unternehmen der Gesundheitswirtschaft der Beitrag zur Klimawende gelingen? Wo liegen die größten Hürden in der Praxis?

Dr. Markus Horneber: Den größten Anteil an den CO₂-Emissionen verursachen die Krankenhäuser, die oft eine veraltete Gebäudestruktur haben – bei ihnen müssen wir ansetzen. Doch die Herausforderungen für Kliniken sind enorm, wie auch das Institute for Health Care Business (hcb) in seinem Gutachten exemplarisch für Nordrhein-Westfalen festgestellt hat. Die Klimaschutzziele, die die Bundesregierung vorgegeben hat, können die Krankenhäuser kaum aus eigener Kraft finanzieren. Das hcb empfiehlt daher einen „Climate Boost“, das heißt Fördermittel des Landes, die ausdrücklich für die Klimaneutralität eines Hauses eingesetzt werden sollen. Zur Finanzierung schlägt das Institut einen Krankenhaus-Klimafonds vor. Das setzt allerdings voraus, dass die gesundheitspolitischen Regelungen angepasst werden. Bislang waren sie so gestaltet, dass sie den Fokus eher weg vom Thema Nachhaltigkeit gelenkt haben.

Sie selbst haben sich der Nachhaltigkeit in Ihrer Unternehmensstrategie verpflichtet. Wie gehen Sie dabei konkret vor?

Dr. Horneber: Nachhaltigkeit zu fördern zählt tatsächlich zu unseren strategischen Zielen für die kommenden fünf Jahre. Bis zum Jahresende 2022 führen wir eine GAP-, Stakeholder- und Wesentlichkeitsanalyse durch, aus der wir Handlungsfelder ableiten. Zu diesem Termin wollen wir auch erste Maßnahmen zum Aufbau eines Kennzahlensystems umgesetzt haben. Derzeit haben wir Netzwerkteams eingesetzt, die sich mit den einzelnen Handlungsfeldern beschäftigen.

Beispielsweise setzen wir beim Transport auf E-Mobilität, nutzen Arbeitskleidung aus Tencel statt Baumwolle, vermeiden Kunststoffmüll durch alternative Materialien sowie Recycling und sorgen dafür, dass Lebensmittel weiterverwendet werden. Wir stellen dabei fest, dass die Summe vieler vermeintlich kleiner Maßnahmen den großen Unterschied machen kann. Wichtig ist dabei, die Belegschaft einzubinden. Wir sind überrascht darüber, wie groß das Engagement der Mitarbeitenden beim Thema Nachhaltigkeit ist.

Bitte wagen Sie einen Ausblick: Welche Chancen bietet es, wenn wir die Wende zu einem grünen Gesundheitswesen schaffen?

Burkhart: Wenn es uns gelingt, dem Klimawandel gegenzusteuern und Menschen den Zugang zu sauberen Energien zu sichern, könnten wir Jahr für Jahr Millionen Todesfälle verhindern, wie der Lancet Countdown zeigt. Das würde auch dazu beitragen, mehr Gerechtigkeit in puncto Gesundheit zu schaffen. Ebenso würde sich mehr Klimaschutz auch ökonomisch bezahlt machen: Es gibt Modellrechnungen, nach denen Krankenhäuser rund 30 Prozent Energie einsparen könnten.

Die Gesundheitspolitik muss die Transformation mitsteuern und Fördergelder bereitstellen.