14 März, 2017
Zwischen Großbritannien und der EU werden jährlich Lebensmittel im Milliardenwert gehandelt. Die Folgen des Brexit für die Nahrungsmittelbranche sind weitreichend – und hängen stark davon ab, wie frei der Handel zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit aussieht. Fest steht: Die Kosten für den Handel zwischen EU-Ländern und Großbritannien werden vermutlich steigen, sei es durch die Einführung von Zöllen, Handelslizenzen oder die Rekrutierung von Mitarbeitern. Für Lebensmittelhersteller bedeutet dies, sich frühzeitig auf mögliche Szenarien einzustellen.
Großbritannien ist auf Importe aus der EU angewiesen: Die dortige Lebensmittelindustrie kann den heimischen Bedarf nur zu knapp 60 Prozent abdecken. Im Jahr 2015 importierte das Vereinigte Königreich Lebensmittel und Getränke im Wert von 31 Milliarden Euro aus der EU. 27 Prozent der in Großbritannien konsumierten Lebensmittel stammen aus Ländern der Europäischen Union. Umgekehrt gehen drei Viertel der britischen Nahrungsmittelexporte in die EU, mehr als die Hälfte davon (52%) nach Deutschland, Frankreich, Irland und in die Niederlande.
Deutschland wiederum exportiert insbesondere Fleisch sowie Obst und Gemüse im Milliardenwert nach Großbritannien. Der Wert der eingeführten Produkte in diesen Warengruppen beträgt jeweils über 700 Millionen Euro pro Jahr. Aber auch Süßigkeiten, Backwaren und Milchprodukte importiert Großbritannien häufig aus Deutschland. Insgesamt kommen 14 Prozent der britischen Nahrungsmittelimporte aus Deutschland. Doch auch Deutschland importiert kräftig Lebensmittel aus dem Vereinigten Königreich: 2015 lag der Wert der Lebensmittelimporte aus UK bei knapp einer Milliarde Pfund.
„Wenn sich Großbritannien und die EU nicht auf ein Handelsabkommen einigen können, bei dem der freie Zugang zum Binnenmarkt weiterhin möglich ist, ist die Erhebung von Einfuhrzöllen zu erwarten“, so Gerd Bovensiepen, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter bei PwC in Deutschland und EMEA. Im internationalen Handel sind Einfuhrzölle auf Nahrungsmittel in der Regel verhältnismäßig hoch. Im Handel zwischen der EU und Drittländern gelten häufig zweistufige Zölle für landwirtschaftliche Produkte: Bis zu einer gewissen Obergrenze gilt ein niedrigerer Tarif. Ist das Kontingent erschöpft, greifen die regulären Zolltarife.
„Unternehmen mit komplexen Lieferketten, bei denen Beschaffung, Verarbeitung und Verkauf in unterschiedlichen Ländern stattfinden, sehen sich nach dem Brexit möglicherweise mit einer Doppelbesteuerung konfrontiert, wenn Teile ihrer Lieferkette in Großbritannien liegen.“
Aber auch andere Handelskosten könnten steigen: Um Nahrungsmittel zwischen der EU und einem Drittland auszutauschen, müssen für bestimmte landwirtschaftliche Produkte Importlizenzen vorliegen, etwa für Rind- und Schweinefleisch, Geflügel oder Milch. Zusätzliche Handelskosten könnten auch durch die Wiedereinführung der Grenzkontrollen entstehen, etwa durch Aufwände für Dokumentation oder physische Grenzchecks.
Aber nicht nur die Handelskosten werden steigen. Auch auf die Mitarbeiter hat der Brexit weitreichende Folgen: 250.000 EU-Bürger arbeiten derzeit in der britischen Nahrungsmittel- und Service-Industrie. Wer in Großbritannien produziert, wird es künftig vermutlich schwerer haben, geeignete Arbeitskräfte zu rekrutieren.
Und auch die Auswirkungen auf den Agrarhaushalt der EU sind beträchtlich: Großbritannien ist einer der größten Nettozahler der EU. Jährlich fließen rund 18,2 Milliarden Euro pro Jahr von London nach Brüssel. Das sind 12 Prozent des EU-Haushalts. Davon werden 3,2 Milliarden Euro für die Landwirtschaft eingesetzt. Um das durch den Brexit entstehende Haushaltsloch zu stopfen, müssten die europäischen Agrarausgaben entweder gekürzt werden – oder die anderen Mitgliedsstaaten höhere Beiträge zahlen.
„Das Pfund wird in Folge des Brexit wahrscheinlich schwächer. Das setzt die europäischen Nahrungsmittelhersteller, die nach Großbritannien exportieren, unter Druck“, so die Einschätzung von Gerd Bovensiepen. Mittel- und langfristig würden Einfuhrzöllen dazu führen, dass die Kosten für Hersteller und Importeure/Exporteure steigen und damit auch die Preise für die Endverbraucher, nicht nur in Großbritannien.
„Unternehmen sollten die Bedeutung des Brexit für ihr eigenes Unternehmen durchspielen und eine Szenario-Planung aufsetzen, die sich auf verschiedene Verläufe vorbereitet. Dabei ist es ratsam, die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU genau zu verfolgen“, so die Empfehlung von PwC-Experte Gerd Bovensiepen. „Die Lebensmittelhersteller sind gut beraten, sich mit anderen Stakeholdern in der Branche zusammenzutun, um bei den Entscheidungsträgern gehört zu werden und die Interessen der Branche bestmöglich zu vertreten“, so Bovensiepen weiter.