Deutsche Reedereien erleben einen Boom, doch es bleiben große strukturelle Herausforderungen

18 November, 2021

PwC-Reederstudie 2021: Containerschifffahrt boomt / Nachfrage von Industrie und Konsumenten sowie Friktionen in der Lieferkette treiben die Preise / Große Herausforderungen aus Klimazielen und Finanzierungsfragen / Reedereien noch unschlüssig zu Antriebstechnologien der Zukunft – Zweifel an Wasserstoff / COVID-19 stellt Reedereien auch 2021 vor erhebliche operative Herausforderungen

Hamburg, 18. November 2021

Noch nie in der 13-jährigen Geschichte der PwC-Reederstudie hat es einen derart starken Stimmungsumschwung innerhalb eines Jahres gegeben. 90 Prozent der Befragten teilen die Einschätzung, dass die Schifffahrt momentan boomt. In neun von zehn deutschen Reedereien sind alle Schiffe ausgelastet.

Eine große Mehrheit der deutschen Reeder:innen schätzt auch die weiteren Entwicklungen optimistisch ein, auch wenn es noch immer zu Corona-bedingten Prozessbeeinträchtigungen kommt. 83 Prozent der Reedereien erwarten steigende oder zumindest stabile Charterraten, bei den Frachtraten sind es gar 87 Prozent.

Die Befürchtungen, dass zahlreiche Unternehmen die Pandemie nicht überstehen würden, haben sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Die Reedereien nutzen die steigenden Erlöse für Neueinstellungen und Investitionen in die Flotte. Das hat die 13. Reederstudie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland ergeben, in der 103 deutsche Reedereien befragt wurden.

Preisniveau zieht kräftig an

„Die Containerschifffahrt ist der Treiber dieses Aufschwungs. Der Boom im Bereich Container überstrahlt andere Bereiche der Seeschifffahrt, in denen sich die Marktbedingungen nicht so stark entwickelt haben. Bei 90 Prozent der Reedereien sind wieder alle Schiffe ausgelastet.“

Dr. André Wortmann, Leiter des Maritimen Kompetenzzentrums bei PwC Deutschland

Die rasant steigende Auslastung hat auch massive Auswirkungen auf die Preisentwicklung in der Containerschifffahrt. Außerordentlich starker Konsum in den USA und Europa, Nachholbedarf bei den Industrie-Einkäufern und Konjunkturprogramme sowie wochen- bzw. monatelange Handelsstaus und Beeinträchtigungen der Lieferketten sorgten für eine extreme Nachfrage bei den Container-Reedereien.

„Zeitweise gingen und gehen immer wieder die Leercontainer aus. Zudem mussten vereinzelt wichtige Seehäfen geschlossen werden. Dies führt zu Verwerfungen im internationalen Schiffsverkehr, zu Staus und Engpässen. Und der Zenit scheint noch nicht erreicht, denn 68 Prozent der Reedereien glauben an weiteres Wachstum, 75 Prozent an ein steigendes globales Ladungsaufkommen.“

Dr. André Wortmann, Leiter des Maritimen Kompetenzzentrums bei PwC Deutschland

Reedereien nutzen finanzielle Spielräume für Wachstum, Umbau und Modernisierung

Die steigenden Charter- und Frachterlöse haben den deutschen Reedereien mehr Spielraum verschafft für Investitionen in ihre Flotte. 

„Der Schiffsmarkt ist wieder deutlich dynamischer als vor einem Jahr. Wir sehen eine starke Zunahme von Schiffskäufen. Der Anteil der Unternehmen, die die Bestellung von neuen, modernen Schiffen planen, ist gegenüber 2019 aktuell um elf Prozentpunkte gestiegen.“

Burkhard Sommer, stellvertretender Leiter des Maritimen Kompetenzzentrums bei PwC Deutschland

Generell hat sich die Branche während der Pandemie als resilient erwiesen. So haben während der letzten zwölf Monate 22 Prozent der Unternehmen in neue Schiffe investiert. Jede zweite Reederei (47 Prozent) plant derzeit die Bestellung neuer Schiffe.

Die befragten Unternehmen investieren jedoch nicht nur in neue Schiffe, sondern auch die Modernisierung der bestehende Flotte nimmt Fahrt auf. Ziel ist es, diese umweltverträglicher und effizienter aufzustellen. Die Mehrheit der Reedereien setzt dabei Maßnahmen um, die der Entwicklung neuer treibstoffsparender Schiffsdesigns und -bauweisen dienen.

Zudem geben 56 Prozent der Befragten an, dass sie in den letzten zwölf Monaten Mitarbeitende eingestellt haben. 25 Prozent haben hingegen Stellen abgebaut. Darüber hinaus wollen 69 Prozent der Befragten in den nächsten zwölf Monaten Mitarbeitende einstellen. Der seit Jahren anhaltende Umbau der Belegschaften wird demnach weiter vorangetrieben.

Großteil der Reedereien sieht sich großen strukturellen Herausforderungen gegenüber

80 Prozent der Befragten erkennen in der Branche tiefsitzende strukturelle Probleme. Wesentliche Themen sind der Zugang zu Kapital sowie Umweltauflagen und Klimaziele. Mehr als zehn Jahre haben sich viele Banken und andere Kapitalgeber sukzessive aus der Schifffahrt zurückgezogen. Aktuell beklagen 56 Prozent der Reedereien (2020: 82 Prozent), dass sich die Banken mehr und mehr von den Reedereien abwenden würden. In einzelnen Fällen wird aber wieder über ein Interesse von Banken und anderen Kapitalgebern an Schiffsfinanzierungen berichtet, die zuvor – zumindest vorübergehend – nicht im Schifffahrtssektor aktiv waren. 

„Reedereien beschäftigen sich seit geraumer Zeit mit der Frage, welche Geschäfts- bzw. Investitionsmodelle für Kapitalgeber interessant sein könnten – mit Erfolg: Wir beobachten, dass Investoren wieder Interesse an Schiffsfinanzierungen entwickeln. Sicherlich wirken die Erfahrungen aus der Finanzkrise noch nach, aber Schiffsfinanzierungen sind wieder eine Option im Segment Real Assets. Das kommt angesichts der anstehenden Investitionen gerade recht.“

Dr. André Wortmann, Leiter des Maritimen Kompetenzzentrums bei PwC Deutschland

Diskussion um nachhaltige Antriebe dauert an

47 Prozent der Befragten geben an, dass man im Unternehmen konkrete Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen plant, 33 Prozent geben an, dass bereits konkrete Maßnahmen umgesetzt werden – große Unternehmen (58 Prozent) deutlich häufiger als kleinere. Solche Maßnahmen sind zum Beispiel treibstoffsparende Schiffsdesigns, Smart Shipping Tools, alternative Antriebe und Landstromanschlüsse.

Auf die Frage nach den zwei bis drei dominierenden Treibstoffarten in 20 Jahren zeigt sich, dass die Branche noch unentschieden ist. Für die Langstrecke werden zuerst Flüssigerdgas LNG (58 Prozent), Schiffsdiesel (45 Prozent), Methanol (41 Prozent) und Wasserstoff (38 Prozent) genannt. Für die Kurzstrecke nennen die Befragten Strom (43 Prozent), Wasserstoff (41 Prozent), LNG (40 Prozent) und Methanol (33 Prozent). Angesichts der enormen technologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen jeder einzelnen Treibstoffart offenbart sich das Entscheidungsdilemma der Branche – mit erheblichen Risiken und Chancen.

Die Relevanz von Wasserstoff ist umstritten

Auf die Frage, ob Wasserstoff in den kommenden 20 Jahren in den internationalen Langstreckenverkehren zur See der vorherrschende Treibstoff sein wird, antworten 41 Prozent mit Ja und 55 Prozent mit Nein. Auffällig ist, dass sich die Skeptiker vor allem in den größeren Reedereien befinden – bei der analogen Frage nach Ammoniak ist dies genau umgekehrt. Als Gründe für ihre Skepsis gegenüber Wasserstoff nennen die Befragten insbesondere folgende Aspekte: Produktionskapazitäten, Infrastruktur, Betankung, Finanzierung des Aufbaus und technische Risiken.

„Die Reedereien haben sich auf die Transformation in Richtung mehr Nachhaltigkeit eingestellt. Von einem Paradigmenwechsel wie beispielsweise in der Automobilindustrie sind wir jedoch weit entfernt. Bisher dominiert Unsicherheit in Bezug auf neue Antriebstechnologien, aber auch was die politischen Zielvorgaben betrifft. Nur in jedem dritten Schifffahrtsunternehmen werden die Klimaziele der EU-Kommission für erreichbar gehalten.“

Burkhard Sommer,stellvertretender Leiter des Maritimen Kompetenzzentrums bei PwC Deutschland

Die EU-Kommission hat im September 2020 eine strengere Zielvorgabe vorgeschlagen und will die Emissionen bis 2030 gegenüber dem Stand von 1990 um mehr als 55 Prozent verringern.

Über die PwC-Reederstudie

Die Reederstudie von PwC erscheint seit 2009 und gilt als zentraler Indikator zur Verfasstheit der deutschen Hochseeschifffahrt. Die aktuelle Studie basiert auf der 13. Befragung deutscher Hochseereedereien durch das in Hamburg ansässige Maritime Kompetenzzentrum von PwC Deutschland. Sie schreibt die Ergebnisse zur Entwicklung der Märkte aus den Vorjahresbefragungen mit Topentscheider:innen fort und beleuchtet in besonderem Maße die Auswirkungen der Coronakrise im deutschen maritimen Sektor sowie den Umgang mit Klimazielen und den ökologischen Umbau der Flotten. 

Die aktuelle Reedereienbefragung erfolgte methodengleich zu den Befragungen der Jahre 2009 bis 2020. Für die aktuelle Studie wurden zwischen Juni und August 2021 103 CATI-Interviews geführt. Die befragten Reedereien beschäftigen im Durchschnitt etwa 624 Mitarbeitende, davon rund 486 auf See. Gut elf Prozent der Unternehmen erwirtschaften weniger als 20 Millionen Euro Umsatz pro Jahr, gut 26 Prozent kommen auf 100 Millionen Euro und mehr.

Über PwC: 

PwC betrachtet es als seine Aufgabe, gesellschaftliches Vertrauen aufzubauen und wichtige Probleme zu lösen. Mehr als 284.000 Mitarbeitende in 155 Ländern tragen hierzu mit hochwertigen, branchenspezifischen Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Steuer- und Unternehmensberatung bei.

Die Bezeichnung PwC bezieht sich auf das PwC-Netzwerk und/oder eine oder mehrere der rechtlich selbstständigen Netzwerkgesellschaften. Weitere Details unter www.pwc.com/structure.

Contact us

Martin Krause

Martin Krause

PwC Communications, PwC Germany

Tel.: +49 151 54181306

Follow us