„Verwaltungen sind oft innovationsfreudiger als Industriekonzerne.“

11 November, 2019

Die Digitalisierung, veränderte Bedürfnisse von Bürgern und Unternehmen, aber auch rechtliche Vorgaben wie das Onlinezugangsgesetz zwingen Verwaltungen zur Veränderung. Im Gespräch erläutert Borries Hauke-Thiemian, Partner bei PwC Germany, wo Verwaltungen ansetzen müssen, um „smart“ zu werden.

„Es geht darum, Dienstleistungen so nutzerzentriert und kundenorientiert wie möglich zu gestalten.“

Borries Hauke-Thiemian, Partner bei PwC Germany

Herr Hauke-Thiemian, reicht es, wenn öffentliche Verwaltungen Künstliche Intelligenz, Big Data und andere moderne Technologien einsetzen, um „smart“ zu werden?

Borries Hauke-Thiemian: Damit allein ist es nicht getan. Natürlich spielen digitale Technologien eine wesentliche Rolle. Die eigentliche Frage lautet aus meiner Sicht aber: Was wollen öffentliche Verwaltungen in Kommunen und auf Bundes- und Länderebene damit erreichen?

Haben Sie darauf eine Antwort?

Ein sinnvolles Ziel ist es, Verwaltung und Politik in die Lage zu versetzen, intelligente und nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Wenn der öffentliche Sektor schneller, effizienter und stärker nutzerorientiert agiert, wird er zum professionellen Partner, zum Dienstleister für seine Kunden – also für Bürger, aber auch für Unternehmen. So ein Arbeiten ergibt auch für die Mitarbeitenden Sinn, weil sie merken, dass sich die Welt um sie herum verändert und diese Veränderung gut und richtig in ihrem Arbeitsumfeld ankommt. Sie sind der eigentliche Schlüssel, um diese Veränderung zu erreichen.

Wie weit sind die Verwaltungen denn in diesem Prozess?

In der Fläche betrachtet stehen sie überwiegend am Anfang. Es gibt aber bereits einzelne, sehr innovative Projekte und Einzellösungen. Große und komplex miteinander verbundene Themen wie Mobilität, Bildung, Klima erfordern aber integrierte Konzepte. Die Kommunalverwaltungen stehen auf dem Weg zum „Smart Government“ einer einzigartigen Herausforderung gegenüber: Sie sind von der Kindergärtnerin bis zum Abwassermeister, von der Straße bis zum Baugrundstück für eine enorme Bandbreite an Leistungen zuständig. Das ist weit komplexer als bei jedem Wirtschaftsunternehmen. 

Da kommt allerdings derzeit im öffentlichen Sektor unheimlich viel in Bewegung, die Planungen gehen in vielen Städten und Kommunen mit hohem Tempo voran.

Mit Sicherheit nicht ganz freiwillig. Schließlich müssen dem Onlinezugangsgesetz (OZG) zufolge bis 2022 alle Verwaltungsleistungen auch elektronisch verfügbar sein.

Richtig, das OZG ist ein maßgeblicher Treiber. Aber das Gesetz ist ja nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern Ausdruck einer politischen Idee, die in der öffentlichen Verwaltung eine konkrete Wirkung entfalten soll. Und die Ausgestaltung halte ich durchaus für zielführend.

Inwiefern?

Im Gegensatz zu früheren Reformen setzt das OZG bei der Umsetzung sehr stark auf Zusammenarbeit, auf digitale Verbünde zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Das ist meiner Meinung nach der richtige Ansatz, aber eben auch ein Treiber für die Komplexität in der Umsetzung.

Gibt es weitere Treiber für die Entwicklung hin zum „Smart Government“?

Der demographische Wandel spielt sicher eine Rolle. Der betrifft ganz wesentlich auch die Verwaltung, der künftig viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlen werden. Automatisierte Prozesse können helfen, diese Lücke zu schließen. Die Technologien können aber auch dazu dienen, bestimmte Tätigkeiten zu verlagern und aufzuwerten.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Generell sind alle Verfahren mit vielen wiederkehrenden Tätigkeiten und bislang hohem manuellem Aufwand zu nennen. Dazu zählen zum Beispiel Beurkundungen oder Genehmigungsverfahren. Solche Prozesse lassen sich umstellen, wodurch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Zeit gewinnen für höherwertige, komplexere Aufgaben. Ein anderes Beispiel ist die vernetzte Nutzung von Personendaten, etwa in Kundenzentren: Werden Kundendaten vernetzt genutzt, können Verwaltungsprozesse integrierter und proaktiver abgewickelt werden. Das führt zum Beispiel in den Kundenzentren zu mehr Zeit für das eigentliche Anliegen des Kunden und reduziert die Wartezeiten insgesamt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben dann mehr Zeit für Beratung für komplexe und komplizierte Fälle. Für Menschen, die heute nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie brauchen und darunter leiden.

Die Kundenzentren sind ein Element der Verwaltung, das Sie ganz besonders interessiert. Warum?

Weil sie die Schnittstellen zwischen Verwaltung und Kunden sind. Hier laufen viele Verwaltungsleistungen zusammen. Und insbesondere bei den Kundenzentren wirft auch das OZG ganz neue Fragen auf: Brauche ich die Kundenzentren überhaupt noch in der jetzigen Form, wenn ich alle Dienste online anbiete?

„Wir brauchen eine Vernetzte Verwaltung. Aber vor allem eine kollaborative Stadt.“

Borries Hauke-Thiemian, Partner bei PwC Germany

Was schwebt Ihnen vor?

Vieles ist denkbar. Kann ich zum Beispiel mobile Kundenservices in Bibliotheken, Bankfilialen oder Supermärkten anbieten? Oder kann ich die Dienstleistungen zu mir nach Hause bestellen? Zum Beispiel, weil ich Datenschutzbedenken habe, als älterer Mensch nicht mehr mobil bin oder in einer ländlichen Gegend lebe und der Weg zum nächsten Kundenzentrum weit ist. Dies sind ganz konkrete Antworten auf die übergeordnete Frage: Wie kann ich als Verwaltung meinen Kunden gegenüber professionell, modern und nutzerorientiert auftreten?

Wie meinen Sie das?

Dass Verwaltungsleistungen heute auch online verfügbar sind, ist ganz klar ein Bedürfnis der Mehrheit der Bürger, wie unsere Untersuchungen zeigen. Das Problem ist, dass Bürger bei vielen Anliegen selbst wissen müssen, was sie zu tun haben. Ein einfaches Beispiel: Wenn jemand bald umziehen möchte, dann muss er einige Zeit im Voraus wissen, was es alles zu beachten gilt.

Wie sieht Ihre Vorstellung aus?

Hilfreich wäre es doch, wenn Bürger einfacher Antworten auf ihre Fragen bekommen. Die eigentliche Frage im genannten Beispiel lautet doch: „Ich möchte umziehen. Was muss ich dafür tun?“ Ein intelligenter Algorithmus könnte mich einfach Schritt für Schritt durch den Prozess führen, und am Ende erhalte ich alle benötigten Formulare, die schon zu einem Großteil vorausgefüllt sind und die ich dann nur noch unterschreiben und abschicken muss.

Ohne Künstliche Intelligenz geht es also nicht?

Ich sehe die Technologie als Mittel zum Zweck, als Hilfsmittel, um ein Ziel zu erreichen. Wer umgezogen ist, soll seinem Nachbarn ja nicht erzählen, dass die Verwaltung jetzt KI und Big Data einsetzt. Sondern: Ich wollte umziehen und der Prozess war ganz einfach. Darum geht es – Dienstleistungen so nutzerzentriert und kundenorientiert wie möglich zu gestalten.

Wie gehen Sie in der konkreten Projektarbeit mit Städten und Kommunen vor?

Ganz wichtig: Wir machen keine starre Ist-Analyse und definieren anschließend einen Soll-Zustand. Wir planen auch nicht schon im Vorfeld alle umzusetzenden Maßnahmen bis 2022. Sonst bestünde die Gefahr, dass die Verwaltungen Probleme identifizieren, die am eigentlichen Bedarf der Bürger, aber auch der Verwaltungen selbst vorbeigehen. Stattdessen schauen wir uns an, welche Fragen wirklich anstehen und setzen diese in agilen Prozessen und innovativen Formaten, zum Beispiel durch Design Sprints mit Mitarbeitenden und Führungskräften, nach und nach um. Dadurch haben Bürgermeister und Verwaltungen kurzfristige Erfolge mit der Folge einer hohen Akzeptanz.

Dem Klischee nach gelten Behördenmitarbeiter nicht gerade als die innovationsfreudigste Berufsgruppe. Wie erleben Sie das?

Das kann ich mit meiner Erfahrung aus vielen Kundenprojekten überhaupt nicht bestätigen. Im Gegenteil: Inzwischen rücken viele jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Führungspositionen der öffentlichen Verwaltung auf. Es gibt mittlerweile auch viele junge Bürgermeister, die spürbar große Lust auf Innovation haben. Aber auch die „alten Hasen“ bekommen sehr wohl mit, was draußen passiert. Der Wunsch mitzuhalten ist da. Auch das Thema Service schreiben viele aus großer Loyalität zur Verwaltung groß.

In der Praxis sind Verwaltungen mitunter innovationsfreudiger als Industriekonzerne.

Inwiefern muss sich die Kultur der Verwaltung verändern? Verwaltungen sind ja traditionell sehr hierarchisch aufgebaut …

Die Kultur hat einen enormen Stellenwert bei allem, was wir tun. Entscheiden, überdenken, neu und anders machen – das war in den vergangenen Jahrzenten, zugespitzt formuliert, praktisch verboten. Das ändert sich jetzt. Zum Glück.

Wo setzen Sie konkret an?

Bei den Führungskräften. Wir brauchen ein neues Führungskräftebild. Wichtig ist es, als Verwaltungsführung eine gemeinsame Idee zu entwickeln und zu verfolgen, wie die jeweilige Stadt der Zukunft aussehen soll. Dazu müssen sie eine Kultur der Zusammenarbeit schaffen und ständig miteinander im Gespräch sein. Wenn Entscheidungsträger nicht mitziehen, sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vielleicht innovationsfreudig, aber jede Initiative droht zu verpuffen. Die Führung muss eine Veränderungskultur vorleben, einen positiven Umgang mit Fehlern finden und eine attraktive, innovative Verwaltung zulassen – übrigens auch, um als Arbeitgeber interessant zu bleiben. Dazu gilt es, alle Ressourcen zu nutzen. Aus dem Konzern Stadt, aus der Wirtschaft, aus der Bürgerschaft. Wir brauchen eine Vernetzte Verwaltung. Aber vor allem eine kollaborative Stadt.

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Partner Public Sector Consulting, PwC Germany

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