Interview: „Ich kann an einer Hand abzählen, wie vielen Investorinnen ich begegnet bin“

21 Juli, 2021

Ein Interview mit Gründerin Janina Mütze und den PwC-Expertinnen Sevilay Huesman-Koecke und Corinna Friedl. Nur 16 Prozent der Startups in Deutschland werden von Frauen gegründet. Woran liegt das? Und vor allem: Wie lässt sich diese Situation verändern? Darum ging es beim 11. women&healthcare-Netzwerktreffen am 22. April 2021, das unter dem Motto „Doppelte Herausforderung: Gründerinnen in der Krise“ stand. Gründerin Janina Mütze teilte ihre Erfahrungen mit der Community und hier im Interview. 

Über Janina Mütze: Janina Mütze ist Mitgründerin und Geschäftsführerin der Civey GmbH, einem Unternehmen für digitale Markt- und Meinungsdaten.

Über Corinna Friedl: Corinna Friedl ist Director Assurance Healthcare Services bei PwC. Sie hat mehr als 20 Jahre Erfahrung im Bereich der Prüfung und Beratung von Gesundheitsdienstleistern.

Über Sevilay Huesman-Koecke: Sevilay Huesman-Koecke war bis 2022 International Director und Head of Business Development im Bereich Gesundheitswirtschaft bei PwC.

Es heißt, Männer gründen viel häufiger ihr eigenes Unternehmen als Frauen. Ist das auch Ihr Eindruck?

Corinna Friedl: Definitiv. Das belegen verschiedene Studien. Der Deutsche Startup Monitor, den PwC gemeinsam mit dem Bundesverband Deutsche Startups e. V. herausgibt, kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Nur 16 Prozent aller Startups in Deutschland werden von Frauen gegründet. 

Sevilay Huesman-Koecke: Ein ähnliches Bild zeigt sich bei unserem Startup-Programm „Next Level Scale Health“, über das wir vielversprechende Startups aus dem Gesundheitssektor unterstützen und mit Corporates und strategischen Investoren zusammenbringen. 75 Prozent der Startups, die in den vergangenen drei Jahren an diesem Programm teilgenommen haben, wurden von Männern gegründet. 

Wieso gründen Frauen viel seltener als Männer?

Friedl: Frauen sind zum einen weniger risikobereit als Männer. Eine ausschlaggebende Rolle spielt aber auch das Alter. 

Gründer:innen in Deutschland sind im Schnitt Mitte 30 – eine Lebensphase, in der auch die Familienplanung ein Thema sein kann. Insbesondere Frauen spüren dann diesen gesellschaftlichen Druck und stehen vor der Aufgabe, Berufs- und Familienplanung zu vereinbaren. Das bremst viele potenzielle Gründerinnen aus.

Frau Mütze, Sie haben mit der Civey GmbH ein erfolgreiches Unternehmen für digitale Markt- und Meinungsdaten gegründet. Wie verlief Ihr persönlicher Weg in die Gründung?

Janina Mütze: Ich bin nicht den klassischen Gründer:innen-Weg gegangen – sofern es einen solchen überhaupt gibt. Ich habe zuerst Volkswirtschaft studiert und mit 24 Jahren gegründet. Ich wusste damals nicht, in was ich mich hineinstürze. Ich war weit von diesem typischen Startup-Universum entfernt. Das war mein Glück! Letztlich habe ich mir den Gründer-Beruf selbst beigebracht. Ich bin sicher: Für erfolgreiches Unternehmertum braucht man gewisse Skills – die kann man aber lernen. 

Was ist aus Ihrer Erfahrung hilfreich, um diese Skills aufzubauen?

Mütze: Sehr hilfreich ist die Unterstützung durch Vorbilder und andere Unternehmen. Es ist wichtig, jemanden zu haben, der einem erklärt, wie die zentralen Mechanismen in Unternehmen funktionieren, welche Risiken es zu beachten gilt, wie das mit der Finanzierung läuft, etc. In all diesen Themenbereichen müssen Gründer:innen schnell Expertise aufbauen. Programme zur Unterstützung von Unternehmensgründungen sind daher zentral. 

Das gilt insbesondere für Frauen, weil diese oftmals „First-time-Gründer“ sind. Sie gründen also das erste Mal und sind nicht – wie viele ihrer männlichen Pendants – schon einmal erfolgreich mit einer Gründung gescheitert, wie man so schön sagt.

Frauen wird ja immer vorgeworfen, dass sie weniger gut im Netzwerken sind. Welche Rolle spielt das aus Ihrer Sicht?

Mütze: Es spielt sicher eine Rolle, dass Frauen tendenziell nicht so gut vernetzt sind und weniger ins Networking investieren als Männer. Aus meiner Erfahrung netzwerken Frauen aber einfach anders als Männer. Ich muss zugeben, dass ich selbst erst spät gelernt habe, wie wichtig ein funktionierendes Netzwerk ist. Anfangs war mein Netzwerk ausschließlich männlich. Das lag vielleicht auch an der Branche, in der ich tätig bin. Aber mittlerweile sieht das anders aus: Das Netzwerk, auf das ich mich zu 100 Prozent verlassen und auf das ich zählen kann, besteht aus Frauen. 

Eine der größten Barrieren auf dem Weg zur Gründung ist die Finanzierung. Wieso fällt es vielen Frauen so schwer, an Geldquellen wie Venture Capital zu kommen?

Mütze: Zunächst einmal: Die Unterschiede sind in der Tat eklatant. Nur 5 Prozent der von Frauen geführten Unternehmen erhalten eine Finanzierung über 1 Million Euro. Bei den von Männern geführten Firmen gelingt dies fast 28 Prozent.

Der Grund ist schnell erklärt: Bei den Kapitalgebern haben meist die Männer das Sagen. Investmentmanager in Deutschland sind überwiegend männlich. Ich kann an einer Hand abzählen, wie vielen Investorinnen ich begegnet bin. Das führt dann zu dem so genannten Thomas-Prinzip: Die Geldgeber finanzieren bevorzugt die Personen, mit denen sie sich am besten identifizieren können – also ebenfalls Männer.

Inwiefern spielt der Standort eine Rolle bei der Gründung?

Mütze: Ich habe mein Unternehmen vor sechs Jahren in Berlin gegründet und das war definitiv die richtige Entscheidung. Die Hauptstadt bietet weit mehr als Venture Capital. Ich habe über ein Förderprogramm der Investitionsbank Berlin 1,7 Millionen Euro erhalten. Somit konnten wir uns bei Civey drei Jahre lang vor allem der Entwicklung widmen.

Die Wahl, welche Finanzierungsmittel man in Anspruch nehmen will, ist jedoch immer mit Vor- und Nachteilen verbunden: Bei einer Venture-Capital-Finanzierung ist der Druck oft sehr hoch, schnell Ergebnisse zu liefern. Bei einem Fördermittelprogramm kommt viel weniger Druck von außen. Das kann aber auch hinderlich sein, um schnell voranzukommen und frühzeitig rentabel zu werden. 

Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern, damit mehr Frauen gründen?

Huesman-Koecke: Zunächst einmal muss Frauen der Zugang zu Wagniskapital erleichtert werden. Und das klappt nur, wenn mehr Frauen Investorinnen werden. 

Aber auch beruflich erfolgreiche Frauen können einiges tun, um den Gründerinnen zu helfen. Sie können beispielsweise ihre beruflichen Netzwerke für Gründerinnen öffnen und gegen das negative Image kämpfen, das dem Netzwerken noch immer anhaftet. Zudem braucht es Erfolgsgeschichten. Es hat einen starken Effekt, wenn Gründerinnen sich an erfolgreichen Unternehmerinnen als Vorbild orientieren können.

Und was muss sich in der Arbeitswelt ändern?

Friedl: Unternehmen müssen mithelfen, Stereotypen zu bekämpfen. Dafür braucht es Schulungen und Aufklärung über den „unconscious bias“. Ganz wichtig finde ich es, bei diesem Anliegen auch Männer systematisch mit einzubeziehen. Nicht zuletzt kommt es jetzt darauf an, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessert wird. Eine gute Infrastruktur für die Kinderbetreuung ist das A&O.

Was würden Sie Gründerinnen als Rat mit auf den Weg geben? 

Mütze: Dass sie ihre Netzwerke noch aktiver nutzen – und Risiken auch als Chance begreifen. Denn der Aufwand lohnt sich. Für mich war es definitiv die glücklichste Entscheidung meines beruflichen Lebens, mein eigenes Unternehmen zu gründen!

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