29 November, 2021
Lieferengpässe nehmen weltweit neue Dimensionen an. Logistische Abhängigkeiten vom Exportweltmeister China beeinflussen nicht nur deutsche Unternehmen. Lösungen für stabile Lieferketten in der globalisierten Welt werden dringend gesucht.
Sechs Tage blockierte das Containerschiff Ever Given im März 2021 den Suezkanal. Nachfolgenden Containerschiffen war die Durchfahrt ebenso verwehrt – wochenlange Hängepartien waren die Folge. Teilweise wurde Ladung abgeschrieben und musste – wenn möglich – anderweitig beschafft werden. Die Havarie des Containerriesen verdeutlichte der breiten Öffentlichkeit erstmals unmissverständlich, wie fragil die globalen Lieferketten und wie wichtig diese für eine globalisierte Wirtschaft sind. Die Transportketten haben in der Pandemie gehalten – nun allerdings trifft eine stark steigende Nachfrage auf knappe Transportkapazitäten, eine veraltete Verkehrsinfrastruktur und Einzeleffekte, die auch auf die Sperrung einzelner Häfen aufgrund von erneuten COVID-19-Ausbrüchen in China zurückzuführen sind.
Lieferengpässe haben in der Regel mehr als einen Grund. Tatsache ist: Wenn eine – tatsächliche oder eingebildete – Unterbrechung der Lieferung droht, können auch Hamsterkäufe den Markt gehörig durcheinanderwirbeln. Nicht ohne Grund rät die amerikanische Regierung aktuell dazu, bestimmte Vorprodukte und Rohstoffe zu sichern. Die Sicherheit der Lieferkette ist eine fragile Angelegenheit. Wenn heute ein COVID-19-Ausbruch in einem chinesischen Handelshafen, in dem der größte Teil der Elektronikexporte aus China verladen wird, die deutsche Automobilindustrie und die damit verbundene Zulieferindustrie – wie bei Opel in Eisenach – langfristig lahmlegen kann, verdeutlicht das anschaulich, wie abhängig die deutsche Wirtschaft von China ist. Die Sicherheit der Lieferketten aber nur auf die Produktion und den Transport aus China zu reduzieren, wird dem Thema nicht gerecht. Die Anforderungen an die Entwicklung stabiler Beschaffungsstrukturen sind vielfältiger.
Täglich mehren sich beispielsweise Berichte über Transportprobleme in der Lieferkette in England, wo Kraftstoffe und Lebensmittel knapp werden, in den USA, wo Containerschiffe wochenlang auf Entladung warten, oder in Deutschland, wo Papier für Verpackung und andere Druckerzeugnisse rar wird. Eine der Ursachen dafür ist – neben bestimmten Nachholeffekten infolge von COVID-19 im internationalen Warenverkehr mit China – ein eklatanter Mangel an Lkw-Fahrern. Das Lohnniveau der Lkw-Fahrer und das Ansehen der Branche sind nicht im gleichen Maß wie die Frachtpreise gestiegen. In Europa etablierte sich infolge der osteuropäischen Konkurrenz im Transportwesen ein eklatanter Niedriglohnsektor. Im Gegensatz dazu stiegen die Frachtkosten erheblich. Kostete in den Jahren vor der COVID-19-Pandemie beispielsweise der Transport eines Schiffscontainers von China nach Europa noch rund 1.000 US-Dollar, sind es heute bereits 15.000 US-Dollar.
Es gab in der Vergangenheit kaum Bestrebungen, regionale Lieferketten zu erhalten oder gar auszubauen. Im Vordergrund standen Kostenreduktion und das Vertrauen, dass globale Lieferketten resilient sind. Die Verknüpfung von Globalisierung und Lokalisierung (Glokalisierung) und die damit verbundene Reindustrialisierung waren trotz des fortschreitenden Ausbaus der Digitalisierung und der damit verbundenen Automatisierungslösungen vor Corona für viele kein Thema. Wenn jetzt Aktivitäten erfolgen, die Wertschöpfung mittels Regionalisierung teilweise wieder innerhalb Europas oder Deutschlands zu verlagern, dann ist in diesem Zusammenhang eine Ausgewogenheit zwischen Gewinnmaximierung und Risikobereitschaft zu etablieren, um mit nachhaltigen Lösungen die Stabilität der Lieferketten – auch betriebswirtschaftlich – umfassend zu stärken. In dieser Betrachtungsweise sollte neben der Produktion auch die Lagerhaltungsstrategie auf den Prüfstand gestellt werden, mit dem Ziel, mehr Kundennähe und Flexibilität zu erreichen und damit Ausfälle zu vermeiden. Unternehmen sind daher gut beraten, ihre Krisenresilienz zu stärken und mithilfe digitaler Innovationskraft einen Kulturwandel herbeizuführen.
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