31 August, 2022
Von Maximilian Schmitter und Erik Goos. Das wirtschaftliche Umfeld von multinationalen Unternehmen war über einen langen Zeitraum von niedrigen Inflationsraten und der damit einhergehenden Planungssicherheit bei Preissetzungen geprägt. Das Zusammenwirken der Corona-Pandemie, die dadurch verursachte Störung der globalen Lieferketten sowie der sprunghafte Anstieg der Energiekosten, verursacht durch den Krieg in der Ukraine, führte dazu, dass die Inflationsraten in den meisten Ländern rasant angestiegen sind und ein für die Eurozone bisher ungekanntes Niveau erreicht wurde (was im unteren Schaubild gut zu sehen ist).
Als Reaktion auf diese Entwicklung vollziehen die Notenbanken eine Abkehr von der Niedrigzinspolitik des letzten Jahrzehnts und erhöhen seit einigen Monaten schrittweise die Leitzinsen. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht seriös abgeschätzt werden kann, wann die Notenbanken die Leitzinsen zukünftig verändern werden. Eine Entspannung des aktuellen Inflationsdrucks ist in den kommenden Monaten nicht absehbar. In diesen wirtschaftlich turbulenten Zeiten müssen multinationale Unternehmen sicherstellen, dass die bestehenden Verrechnungspreissysteme weiterhin funktionieren und ggf. Anpassungen vornehmen, um dem neuen Marktumfeld gerecht zu werden.
Für multinationale Unternehmen mit grenzüberschreitenden Lieferketten stellt sich angesichts des erheblichen inflationären Drucks die Frage, inwiefern Preissteigerungen zu Verschiebungen innerhalb der eigenen Wertschöpfungsketten führen können und welche Konzerneinheiten die daraus resultierenden Kosten tragen sollten.
Ermöglicht das bestehende Verrechnungspreissystem eine klare Aufteilung der einzelnen Gesellschaften gemäß Funktions- und Risikoprofil, sollte gewährleistet werden, dass die Routineunternehmen einen stabilen, aber geringen Gewinn erwirtschaften. Da gerade Routineproduktionsunternehmen (z. B. Auftragsfertiger oder Lohnfertiger) meist kostenbasiert vergütet werden, sollte eine Verrechnung der Ist-Kosten bereits ausreichen, um den Effekt der gestiegenen Produktionskosten auszugleichen. Erfolgt die Vergütung jedoch auf Basis der Plankosten, besteht das Risiko, dass möglicherweise hohe Anpassungen am Ende des Jahres vorgenommen werden müssen oder andernfalls Verluste auf lokaler Ebene verbleiben. Dabei ist zu beachten, dass eine genaue Aussteuerung der Margen aufgrund der volatilen Marktlage nur bedingt gewährleistet werden kann und Unternehmen sich daher rechtzeitig mit der Umsetzung eines möglichen Anpassungsmechanismus auseinandersetzen sollten, wenn diese Systeme bisher noch nicht implementiert wurden.
Sollte ein Weiterreichen der zusätzlichen Produktionskosten an den Endkunden nicht (vollständig) möglich sein, muss sichergestellt werden, dass eventuelle Verluste, die durch die Aussteuerung der Routinegesellschaften (sowohl Produktion als auch Vertrieb) entstehen, an der richtigen Stelle anfallen und die betroffenen Gesellschaften über ein angemessenes Funktions- und Risikoprofil verfügen. In Fällen, in denen die Routinevergütung vertraglich geregelt wurde, ist darüber hinaus zu überprüfen, ob eine Aufteilung der inflationsbedingten Mehrkosten möglich ist (z. B. durch eine Reduktion des Kostenaufschlags) oder fremde Dritte von einer entsprechenden Klausel Gebrauch machen würden.
Multinationale Unternehmen sollten insgesamt sicherstellen, dass eine inflationsbedingte Verschiebung der Gewinne bzw. Verluste nicht im Widerspruch zu den Wertschöpfungstreibern innerhalb der Gruppe steht. Mit Blick auf eine ungewisse Entwicklung des wirtschaftlichen Umfelds kann eine umfassende Wertschöpfungsbeitragsanalyse dazu beitragen, die eigene Position zu stärken und Risiken zu minimieren.
Der Anstieg der Inflationsrate hat jedoch nicht nur Auswirkungen auf die Preisbildung bei Produkten und Dienstleistungen, sondern zwingt die Notenbanken auch zu einer Abkehr von der bisherigen Zinspolitik. Gerade bei der Betrachtung der Inflationsrate innerhalb der Eurozone wird ersichtlich, dass das Erreichen des mittelfristig angestrebten Inflationsziels von jährlich zwei Prozent eine Reaktion der Notenbanken erfordert, um die historisch hohen Inflationsraten zu begrenzen.
Der gestiegene Fokus auf Finanztransaktionen wird auch durch die Leitsätze und Anwendungshinweise unterstrichen, die sowohl im aktuellen BMF-Schreiben vom 14. Juli 2021 als auch in den neuen OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 2022 aufgenommen wurden. Daher sollten Unternehmen bei der Vergabe von neuen konzerninternen Darlehen kritisch prüfen, ob die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Vergabe durch die bisherige Herangehensweise ausreichend berücksichtigt werden. Aufgrund des dynamischen Marktgeschehens ist nicht länger gewährleistet, dass bestehende Vereinbarungen als belastbare Referenzwerte verwendet werden können und die unveränderte Verlängerung bzw. Fortführung von bestehenden Verträgen kann zu einem nicht fremdüblichen Ergebnis führen.
Auch die Ausgestaltung der konzerninternen Darlehen sollte überprüft werden. Insbesondere könnte die Verwendung von fixen Zinssätzen in einem wechselhaften Marktumfeld zumindest hinterfragt werden, da fremde Dritte möglicherweise von derartigen Konditionen Abstand nehmen würden. Im Hinblick auf die aktuelle Situation erscheint es eine Überlegung wert, vermehrt auf variable Zinssätze zurückzugreifen, um kurzfristige Veränderungen im Zinsumfeld automatisch in den Zinssätzen zu berücksichtigen. Auch Anpassungs- und Kündigungsklauseln sollten geprüft und ggf. angepasst werden, um den Vertragspartnern zusätzliche Handlungsoptionen anzubieten und Risiken im Rahmen einer langfristigen Laufzeit zu minimieren.
Darüber hinaus ist festzustellen, dass der Anstieg der Leitzinsen zwar global beobachtet werden kann, aber die Erhöhungen nicht im Gleichschritt erfolgen. Die von der amerikanischen Federal Reserve Bank beschlossenen, signifikanten Leitzinserhöhungen wurden in diesem Umfang nicht von der Europäischen Zentralbank umgesetzt und die wachsende Schere wird auch in dem annähernd paritätischen Wechselkurs zwischen US-Dollar und Euro spürbar.
Entsprechend sollte die Berücksichtigung von Wechselkurseffekten bei der Vergabe von neuen konzerninternen Darlehen geprüft werden. Auch bei bestehenden Darlehen muss sichergestellt werden, dass die Chancen und Risiken hinsichtlich der Zins- und Wechselkursentwicklung angemessen zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer verteilt sind.
Multinationale Unternehmen sollten daher die aktuelle Situation als Chance begreifen, um den internen Umgang mit Finanztransaktionen zu überprüfen und bestehende Richtlinien (soweit vorhanden) ggf. anzupassen, um den Herausforderungen durch das aktuell sehr volatile Marktumfeld gerecht zu werden.
Die steigenden Leitzinsen haben ebenfalls starke Implikationen auf die Refinanzierung von multinationalen Unternehmen, da die externen Finanzierungskosten ansteigen. Aus diesem Grund sollten multinationale Unternehmen gegenwärtig über die Implementierung bzw. verstärkte Nutzung von Cash-Pools nachdenken. Cash-Pooling-Strukturen sind dabei so ausgestaltet, dass Konzerngesellschaften mit Liquiditätsüberschüssen anderen Konzerngesellschaften, die liquide Mittel benötigen, ihre überschüssige Liquidität zur Verfügung stellen. Diese Ungleichheit zwischen einem Liquiditätsüberhang der einen und einem Liquiditätsbedarf einer anderen Konzerngesellschaft wird beim Cash-Pooling kurzfristig über einen Liquiditätsausgleich auf zentralen Bankkonten beseitigt. Konzerngesellschaften mit Liquiditätsüberhängen können so häufig eine zentrale Finanzierungsfunktion innerhalb des Konzerns übernehmen. In Zeiten negativer Zinssätze war es aus Sicht von Konzerngesellschaften mit Liquiditätsüberhängen zunehmend unattraktiv, ihre überschüssige Liquidität (mit Ausnahme von Strafzinsen für zu hohe Banksalden) konzernintern weiter zu verleihen. Durch die Leitzinserhöhungen wird die Weitergabe von Liquidität über einen Cash-Pool zunehmend attraktiver. Gleichzeitig steigen auch die Kosten einer externen Finanzierung, wodurch eine interne Konzernfinanzierung ebenfalls an Attraktivität für den Konzern als Ganzes gewinnt und multinationalen Unternehmen eine gewisse Unabhängigkeit von sprunghaften Marktentwicklungen ermöglicht.
Es zeichnet sich daher ab, dass das Thema Cash-Pooling durch das Ende der Niedrigzinsphase aus betriebswirtschaftlichen und steuerlichen Gesichtspunkten wieder zunehmend an Relevanz gewinnen wird.
Der Ukraine-Krieg und die dadurch bedingt stark gestiegenen Inflationsraten, die Zinswende der Notenbanken, die weiterhin bestehenden Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und damit einhergehend gestörte Lieferketten stellen multinationale Unternehmen vor enorme Herausforderungen.
Es ist daher ratsam, dass multinationale Unternehmen rechtzeitig eine Überprüfung ihrer Verrechnungspreissysteme vornehmen, um sicherzustellen, dass diese auch weiterhin eine fremdübliche Preis- und Zinsbildung ermöglichen.
In unserem vierteljährlich erscheinenden Newsletter informiert Sie unser internationales Expertenteam über aktuelle Entwicklungen zum Thema Verrechnungspreise.