Region DACH – Deutschland: EuGH-Urteil zur Unionsrechtmäßigkeit des Zuschlags nach § 162 Abs. 4 AO

28 Februar, 2023

Von Sandra Ahrens und Renate Combé. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 13. Oktober 2022 (Rechtssache C-431/21) über das Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts (FG) Bremen (Beschluss vom 7. Juli 2021 – 2 K 187/17) entschieden. 

Die zentrale rechtliche Frage betrifft die Vereinbarkeit der Zuschläge gemäß § 162 Abs. 4 Abgabenordnung (AO), die bei Verletzung der Dokumentationspflichten gemäß § 90 Abs. 3 AO erhoben werden können, mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)) bzw. Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV). Laut Entscheidung des EuGHs steht die Erhebung eines Zuschlags dem Unionsrecht nicht entgegen. Das Urteil ist unter diesem Link abrufbar.

Sachverhalt

Im Jahr 2017 erhob eine in Deutschland ansässige KG beim FG Bremen Klage gegen einen Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO für die Veranlagungszeiträume 2007 bis 2010 (Gesamthöhe 80.000 Euro). Die alleinige Gesellschafterin der Kommanditistin erbrachte im relevanten Zeitraum Dienstleistungen an verschiedene 100-prozentige Tochtergesellschaften der KG. Die im Rahmen der Betriebsprüfung angeforderte Verrechnungspreisdokumentation für den Prüfungszeitraum 2007-2010 wurde durch die Betriebsprüfung als unverwertbar bewertet, weshalb ein Zuschlag gemäß § 162 Abs. 4 AO in Höhe von 5 Prozent des Korrekturbetrags festgesetzt wurde (20.000 Euro pro Jahr). 

Verfahrensgang

Das FG Bremen wendete sich mit einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. Hierin legte das FG Zweifel an der Vereinbarkeit der Zuschläge nach § 162 Abs. 4 AO mit der Niederlassungs- (Art. 49 AEUV) bzw. Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) dar.

Die Zuschläge kämen nur bei Steuerpflichtigen mit Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen im Ausland zur Anwendung, nicht jedoch bei Steuerpflichtigen, die ausschließlich nationale Geschäftsbeziehungen unterhielten. Daher könne die Erhebung der Zuschläge geeignet sein, die Niederlassungsfreiheit zu beschränken. Zwar seien die Zuschläge geeignet, das Ziel der Wahrung der Aufteilung der Steuerbefugnisse zwischen den Mitgliedsstaaten und der Bekämpfung der Steuervermeidung zu verwirklichen, hierfür jedoch nicht erforderlich. Neben den in § 162 Abs. 3 AO eingeräumten Schätzungsbefugnissen zuungunsten des Steuerpflichtigen trage ein zusätzlicher Zuschlag nicht zur Vermeidung von Steuerumgehungen bei, da die Finanzverwaltung hierdurch bereits ausreichende Mittel habe, um die Dokumentationspflichten durchzusetzen.

Weitere Informationen zum Sachverhalt und zum Vorlagebeschluss des FG Bremens finden Sie in unserem Newsflash „Vorlage des FG Bremen an den EuGH bzgl. § 162 Abs. 4 AO“ vom 3. August 2021.

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Entscheidung des EuGHs

Mit Urteil vom 13. Oktober 2022 (C-431/21) entschied der EuGH, dass die Dokumentationspflichten des § 90 Abs. 3 AO nicht per se europarechtswidrig seien, auch nicht in Anwendung neben der Schätzungsbefugnis zulasten des Steuerpflichtigen (§ 162 Abs. 3 AO). Dabei bezieht sich der EuGH auf die Zuschläge, die bei Nichtvorlage bzw. Unverwertbarkeit der Dokumentation angewendet werden. Da die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Strafzuschlägen bei verspäteter Vorlage für Zwecke des Ausgangsverfahrens nicht erforderlich war, wurde über die Vereinbarkeit der hierfür geregelten Zuschläge mit dem Unionsrecht keine Aussage getroffen.

Zwar sieht der EuGH wie auch das FG Bremen die Möglichkeit, dass die ungleiche Behandlung von Gesellschaften mit verbundenen Unternehmen in einem anderen Mitgliedsstaat im Verhältnis zu rein nationalen Sachverhalten eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen kann. Allerdings erscheint ihm die Anwendung eines ausreichend hohen Zuschlags geeignet, Steuerpflichtige von der Missachtung der Dokumentationspflichten abzuhalten und so die Möglichkeit der wirksamen Kontrolle der grenzüberschreitenden Transaktionen und dadurch die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedsstaaten sicherzustellen. Die daneben bestehenden Regelungen des § 162 Abs. 3 AO stünden dem nicht entgegen, da diese nicht auf eine Sanktionierung der Missachtung der Dokumentationspflichten gerichtet seien, sondern auf eine Berichtigung der steuerbaren Einkünfte des Steuerpflichtigen, und damit einen anderen Zweck verfolgten.

Der EuGH sieht den Strafzuschlag nach § 162 Abs. 4 AO auch als verhältnismäßig an. Die Festlegung der Sanktionshöhe erfolge prozentual und reflektiere so die Korrelation zwischen der Höhe der Geldbuße und der Schwere des Verstoßes, wobei der Ansatz einer Mindeststrafe von 5.000 Euro eine abschreckende Wirkung erzielen solle und die Festsetzung einer Obergrenze von 10 Prozent sicherstelle, dass der Zuschlag nicht übermäßig hoch ausfalle. Die Verhältnismäßigkeit zeige sich auch darin, dass der Zuschlag keine Anwendung findet, wenn der Verstoß gegen die Dokumentationspflichten entschuldbar oder das Verschulden lediglich geringfügig ist.

Fazit und Ausblick

Mit Urteil vom 13. Oktober 2022 hat der EuGH entschieden, dass die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) den in § 162 Abs. 4 AO vorgesehenen Sanktionen bei Nichtvorlage bzw. Unverwertbarkeit der Verrechnungspreisdokumentation nicht entgegensteht, da diese zwar verletzt wird, aber ausreichende Rechtfertigungsgründe für die Verletzung vorlägen und die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibe. International agierende Unternehmen sollten daher weiterhin sicherstellen, ihren Dokumentationspflichten gemäß § 90 Abs. 3 AO ordnungs- und fristgemäß nachzukommen, da eine Missachtung dieser Pflichten hohe Strafzuschläge zur Folge haben kann.

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